Kolumne
Wie sich ein Samenkorn entwickelt
von Adrian Hadorn
| February 2019
Luzerne-Samen sind winzig klein. Sie können aber Grosses bewirken. Zum Beispiel in San Juan del Oro, einem abgelegenen Berg-Tal Boliviens. Dort wurden sie zum Kernelement eines erfolgreichen Schweizer Entwicklungsprojektes, das Lehren für die Entwicklungszusammenarbeit insgesamt bietet.
Die staatliche Entwicklungszusammenarbeit der Eidgenossenschaft mit Bolivien begann vor fünfzig Jahren. 59 Rinder, 20 Stiere und 20 Ziegen gelangten von schweizerischen Zuchtbetrieben nach Amsterdam und per Schiff durch den Panamakanal nach Peru und Bolivien. Mit dabei waren vier Erst-Absolventen des Landwirtschafts-Technikums Zollikofen.
Einer von ihnen, Daniel Blanc, übernahm an der Landwirtschaftsfakultät in Cochabamba die Verantwortung für den Anbau von verbesserten Futterpflanzen. Die Schweizerkühe waren produktiver, aber auch anspruchsvoller. Bald stellte sich heraus, dass das Futtersaatgut ein limitierender Faktor war: Es musste importiert werden, war zu teuer, die Qualität manchmal schlecht, jedenfalls nicht angepasst an die verschiedenen Öko-Zonen des Landes. Blanc baute im Verlauf von Jahren ein gemischt-wirtschaftliches Unternehmen auf, das heute international ausgezeichnet wird und beispielhaft für erfolgreiche und nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit steht.
Das Ziel des Saatgutunternehmens SEFO (SEmilla FOrrajera) war dreifach:
Das Unternehmen arbeitete nach und nach mit Kleinbauern in fünf Departementen des Südens zusammen, die alle ökologischen Zonen (Hochland, Täler-Zonen und tropisches Tiefland) abdeckten.
Das Tal San Juan del Oro wurde zu einer nachhaltigen Erfolgsgeschichte von SEFO. Es war bei Viehhaltern seit Generationen bekannt wegen der Luzerne-Samen aus dieser Gegend. Das Tal liegt sehr abgelegen und war damals nur über eine miserable Zufahrtsstrasse erreichbar. Ein einziger Händler versorgte das Dorf und hatte ein Monopol bei der Vermarktung des Saatgutes. Viele Jungen im Dorf sahen keine wirtschaftliche Zukunft und wanderten ab.
Die Zurückbleibenden aber wurden zu Aktionären des Unternehmens. Das war neu in Bolivien und weckte in Agrar- und Universitätskreisen viel Kritik: Wie sollten Kleinbauern, die kaum lesen und schreiben konnten, zu Aktionären eines modernen Unternehmens werden?
SEFO lieferte technische Beratung, verbesserte Geräte für Bodenbearbeitung und Dreschen, Basis-Saatgut und Dünger. Die Bauern bezahlten (quasi als zinsloses Darlehen) mit einem Teil der Ernte und verpflichteten sich, während drei Jahren die ganze Ernte an SEFO zu verkaufen und die Qualitätsanforderungen an das Produkt zu erfüllen. Erst dann konnten sie Aktien erwerben und bei der Unternehmens- und der Preispolitik mitreden.
Und sie verbesserten mit den Jahren die Strasse, die Schule, ihre Häuser, und auch ihr Nischenprodukt, das über die Jahrzehnte hin eine erfreuliche wirtschaftliche und soziale Entwicklung ermöglichte. Die Jungen kehrten zum Teil zurück und sind heute aktive Aktionäre.
SEFO ist ein florierendes Unternehmen geworden, das jährlich gegen 500 Tonnen Saatgut für alle ökologischen Zonen des Landes produziert, mit 1500 Produzenten-Familien zusammenarbeitet, über die Jahre hin den Anbau von Futterpflanzen auf etwa 400‘000 Hektaren ermöglichte, womit das Einkommen von Tausenden Bauernfamilien dank verbesserter Fleisch- und Milchproduktion signifikant gesteigert wurde. SEFO exportiert in 21 Länder, das Unternehmen wurde 2017 für besondere Verdienste von der Cámara de Exportadores de Costa Rica (CADEXCO) international ausgezeichnet.
Ich war 1986 als Koordinator der DEZA in Bolivien dabei, als SEFO nach langen und zähen Verhandlungen das Decreto Supremo 21189 als «Sociedad anónima mixta» entgegennehmen konnte. Daniel Blanc war mit diesem Erfolg der Zeit weit voraus: Heute ist «Public Private Partnership/PPP» geradezu eine Modewelle geworden. Moden sind vergänglich. Und auch Unternehmen bleiben nur nachhaltig, wenn die Umstände es erlauben. Was aber sicher für SEFO galt und gilt: Ein Schlüsselfaktor für die Erfolge dieses Entwicklungsprojektes war der «factor humano»:
Daniel Blanc blieb zeitlebens mit seiner Familie in Bolivien. Er wurde mit den Jahren zu einem gefragten und mehrfach ausgezeichneten Experten in vielen Fragen der Landwirtschaftsentwicklung. Er musste wegen Atemproblemen mit der Familie von Cochabamba ins Tiefland von Santa Cruz umziehen. Er wünschte von Frau und Kindern, dass seine Asche dereinst im Rio San Juan del Oro verstreut werden solle.
Und so reiste 2005 seine Witwe mit der Urne ins abgelegene Tal. Die Bauern waren mit dem Ausstreuen der Asche nicht einverstanden: Ein Grabmal auf dem Hügel, der einen weiten Blick talauf- und abwärts erlaubt, sollte an diesen bewunderten Bauernsohn erinnern. Sein Grab wird noch heute von den Alten und Jungen der Talschaft mit Blumen geschmückt, in Erinnerung an den Ingeniero Daniel Blanc, der ihnen so viele Optionen eines besseren Lebens aufgezeigt hatte.
Die Saat in San Juan del Oro wird weiterhin aufgehen.
Adrian Hadorn ist ehemaliger Präsident der SGA und war in Bolivien Projektleiter (1975-80) und Koordinator (1985-88).
Die staatliche Entwicklungszusammenarbeit der Eidgenossenschaft mit Bolivien begann vor fünfzig Jahren. 59 Rinder, 20 Stiere und 20 Ziegen gelangten von schweizerischen Zuchtbetrieben nach Amsterdam und per Schiff durch den Panamakanal nach Peru und Bolivien. Mit dabei waren vier Erst-Absolventen des Landwirtschafts-Technikums Zollikofen.
Einer von ihnen, Daniel Blanc, übernahm an der Landwirtschaftsfakultät in Cochabamba die Verantwortung für den Anbau von verbesserten Futterpflanzen. Die Schweizerkühe waren produktiver, aber auch anspruchsvoller. Bald stellte sich heraus, dass das Futtersaatgut ein limitierender Faktor war: Es musste importiert werden, war zu teuer, die Qualität manchmal schlecht, jedenfalls nicht angepasst an die verschiedenen Öko-Zonen des Landes. Blanc baute im Verlauf von Jahren ein gemischt-wirtschaftliches Unternehmen auf, das heute international ausgezeichnet wird und beispielhaft für erfolgreiche und nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit steht.
Das Ziel des Saatgutunternehmens SEFO (SEmilla FOrrajera) war dreifach:
- Bei Kleinbauern die Qualität ihrer Futtersaatgut-Produktion und ihr Einkommen verbessern und dabei die Erfahrungen der Bauern sorgfältig beachten.
- Dem Land eine qualitativ hochstehende Eigenproduktion von Futtersaatgut sichern.
- Die Ernährungssicherheit des Landes durch Ertragssteigerung in der Tierhaltung stärken.
Das Unternehmen arbeitete nach und nach mit Kleinbauern in fünf Departementen des Südens zusammen, die alle ökologischen Zonen (Hochland, Täler-Zonen und tropisches Tiefland) abdeckten.
Das Tal San Juan del Oro wurde zu einer nachhaltigen Erfolgsgeschichte von SEFO. Es war bei Viehhaltern seit Generationen bekannt wegen der Luzerne-Samen aus dieser Gegend. Das Tal liegt sehr abgelegen und war damals nur über eine miserable Zufahrtsstrasse erreichbar. Ein einziger Händler versorgte das Dorf und hatte ein Monopol bei der Vermarktung des Saatgutes. Viele Jungen im Dorf sahen keine wirtschaftliche Zukunft und wanderten ab.
Die Zurückbleibenden aber wurden zu Aktionären des Unternehmens. Das war neu in Bolivien und weckte in Agrar- und Universitätskreisen viel Kritik: Wie sollten Kleinbauern, die kaum lesen und schreiben konnten, zu Aktionären eines modernen Unternehmens werden?
SEFO lieferte technische Beratung, verbesserte Geräte für Bodenbearbeitung und Dreschen, Basis-Saatgut und Dünger. Die Bauern bezahlten (quasi als zinsloses Darlehen) mit einem Teil der Ernte und verpflichteten sich, während drei Jahren die ganze Ernte an SEFO zu verkaufen und die Qualitätsanforderungen an das Produkt zu erfüllen. Erst dann konnten sie Aktien erwerben und bei der Unternehmens- und der Preispolitik mitreden.
Und sie verbesserten mit den Jahren die Strasse, die Schule, ihre Häuser, und auch ihr Nischenprodukt, das über die Jahrzehnte hin eine erfreuliche wirtschaftliche und soziale Entwicklung ermöglichte. Die Jungen kehrten zum Teil zurück und sind heute aktive Aktionäre.
SEFO ist ein florierendes Unternehmen geworden, das jährlich gegen 500 Tonnen Saatgut für alle ökologischen Zonen des Landes produziert, mit 1500 Produzenten-Familien zusammenarbeitet, über die Jahre hin den Anbau von Futterpflanzen auf etwa 400‘000 Hektaren ermöglichte, womit das Einkommen von Tausenden Bauernfamilien dank verbesserter Fleisch- und Milchproduktion signifikant gesteigert wurde. SEFO exportiert in 21 Länder, das Unternehmen wurde 2017 für besondere Verdienste von der Cámara de Exportadores de Costa Rica (CADEXCO) international ausgezeichnet.
Ich war 1986 als Koordinator der DEZA in Bolivien dabei, als SEFO nach langen und zähen Verhandlungen das Decreto Supremo 21189 als «Sociedad anónima mixta» entgegennehmen konnte. Daniel Blanc war mit diesem Erfolg der Zeit weit voraus: Heute ist «Public Private Partnership/PPP» geradezu eine Modewelle geworden. Moden sind vergänglich. Und auch Unternehmen bleiben nur nachhaltig, wenn die Umstände es erlauben. Was aber sicher für SEFO galt und gilt: Ein Schlüsselfaktor für die Erfolge dieses Entwicklungsprojektes war der «factor humano»:
- An allererster Stelle die 1500 Bauernfamilien, die diese Saat aufgehen liessen.
- Ein CEO, Gaston Sauma, der mit Können und Umsicht das Unternehmen von Anfang bis heute leitet. Er meisterte auch tiefgehende Krisen des Kokainputsches 1980 und der Hyperinflation 1985.
- Und schliesslich der „Entwicklungshelfer“ Daniel Blanc, ein Meister der Mäeutik: Er wusste durch geschicktes Fragen die bei den Bauern schlummernden Fähigkeiten zu wecken. Er sagte uns immer wieder: «Wir Entwicklungshelfer sind wie die Hebammen: Wir gebären und entwickeln nicht, sondern helfen nur ein bisschen, dass die Bolivianerinnen und Bolivianer gebären und entwickeln können».
Daniel Blanc blieb zeitlebens mit seiner Familie in Bolivien. Er wurde mit den Jahren zu einem gefragten und mehrfach ausgezeichneten Experten in vielen Fragen der Landwirtschaftsentwicklung. Er musste wegen Atemproblemen mit der Familie von Cochabamba ins Tiefland von Santa Cruz umziehen. Er wünschte von Frau und Kindern, dass seine Asche dereinst im Rio San Juan del Oro verstreut werden solle.
Und so reiste 2005 seine Witwe mit der Urne ins abgelegene Tal. Die Bauern waren mit dem Ausstreuen der Asche nicht einverstanden: Ein Grabmal auf dem Hügel, der einen weiten Blick talauf- und abwärts erlaubt, sollte an diesen bewunderten Bauernsohn erinnern. Sein Grab wird noch heute von den Alten und Jungen der Talschaft mit Blumen geschmückt, in Erinnerung an den Ingeniero Daniel Blanc, der ihnen so viele Optionen eines besseren Lebens aufgezeigt hatte.
Die Saat in San Juan del Oro wird weiterhin aufgehen.
Adrian Hadorn ist ehemaliger Präsident der SGA und war in Bolivien Projektleiter (1975-80) und Koordinator (1985-88).
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