Kolumne

Wir brauchen mehr Arbeitsplätze in Entwicklungsländern

von Jörg Frieden* | November 2021
Die andauernde COVID-19-Krise hat weltweit zu massiven Arbeitsplatzverlusten geführt. Die bundeseigene Entwicklungsfinanzierungsgesellschaft SIFEM hat den Auftrag, Arbeitsplätze in Entwicklungsländern zu schaffen. Das Beispiel eines Unternehmens in Tunesien zeigt auf: SIFEMs antizyklische Investitionen sind gerade in Krisenzeiten wichtiger denn je.

Schon vor der COVID-19-Krise stellten fehlende Arbeitsplätze eine ernsthafte Herausforderung in Entwicklungsländern dar, insbesondere in den Volkswirtschaften mittleren Einkommens. Die Pandemie hat diese Probleme massiv verschärft. In allen Ländern der Welt kam es zu einer drastischen Verschlechterung der Beschäftigungslage und des Volkseinkommens. Wiederholte Pandemiewellen rund um den Globus haben dazu geführt, dass der Verlust an Arbeitsstunden im Jahr 2021 anhaltend hoch ist: Das Äquivalent von 140 Millionen Vollzeitarbeitsplätzen im ersten Quartal und 127 Millionen Vollzeitarbeitsplätzen im zweiten Quartal.

Viele Unternehmen, insbesondere Kleinst- und Kleinunternehmen, sind bereits Konkurs gegangen oder stehen vor einer höchst unsicheren Zukunft. Auch hat die Krise die sozialen Ungleichheiten verschärft. Besser qualifizierte Arbeitnehmende konnten auf das Homeoffice ausweichen, schlecht qualifizierte waren stärker von Beschäftigungsverlusten betroffen, insbesondere Frauen und junge Menschen und vor allem im informellen Sektor.

Gemäss der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) in Genf führte die Krise zu einem weltweiten Beschäftigungsverlust von 5 Prozent bei Frauen, gegenüber 3,9 Prozent bei Männern. Auch junge Menschen sind von der Krise stärker betroffen. Während 3,7 Prozent der älteren Arbeitnehmenden ihren Arbeitsplatz verloren haben, sind es 8,7 Prozent bei jungen Menschen. In vielen Entwicklungsländern konnte der Eintritt junger Menschen in den Arbeitsmarkt gar nicht erst stattfinden.

Arbeitsplätze schaffen

Die Schweizer Entwicklungsfinanzierungsgesellschaft SIFEM hat umgehend auf die Krise antizyklisch reagiert, indem sie bestehenden Partnern Notfallliquiditätshilfen in Höhe von 12,8 Millionen US-Dollar zur Verfügung stellte und sich gemeinsam mit anderen europäischen Entwicklungsfinanzierungsgesellschaften (www.edfi.eu) einer neuen Plattform für Finanzierungen im Zusammenhang mit COVID-19 anschloss. SIFEM möchte mit diesen Massnahmen die Entwicklungseffekte ihrer Investitionen schützen.

Ein zentraler Teil des Auftrags von SIFEM besteht aber darin, menschenwürdige und produktive Arbeitsplätze zu schaffen und zu erhalten. SIFEM hat das ehrgeizige Ziel, pro Jahr mindestens 10 000 Stellen zu schaffen oder zu erhalten. Eine erste Bestandesaufnahme der Auswirkungen der COVID-19-Krise auf die über 500 Firmen, in die SIFEM investiert hat, deutet darauf hin, dass die Arbeitsplatzverluste bisher eher moderat ausgefallen sind. Die Verluste in einigen Unternehmen wurden durch Gewinne in anderen Bereichen wettgemacht. Aber Achtung: Zahlreiche Firmen im SIFEM-Portfolio sind tendenziell mittlere und grössere Unternehmen, die den Sturm besser als kleinere Unternehmen überstehen können.

Käse für Afrika

Ein Beispiel eines Unternehmens, das die Krise gut meistern konnte, ist die tunesische Frisch- und Schmelzkäsefirma Land’Or. Im Jahr 2018 hat SIFEM in sie über einen Private Equity Fonds indirekt investiert. Während der Pandemie durfte Land’Or ihre Tätigkeit fortsetzen, um die Verfügbarkeit von Lebensmitteln zu gewährleisten. Aus diesem Grund konnte die Firma, die über 500 Mitarbeitende zählt, rund 50 weitere Arbeitskräfte anstellen. Für die kommenden Jahre hat die Firma grosse Expansionsprojekte in Subsahara-Afrika und plant darüber hinaus ihre Lebensmittelproduktion auf die Zukunft auszurichten, indem sie vermehrt auf Produkte aus pflanzlichem Eiweiss setzt.

Solche Geschichten aus der Region Nordafrika sind leider allzu rar, aber umso wichtiger, da sie demonstrieren, dass auch heute arbeitsplatzschaffende Investitionen in dieser Region möglich sind. SIFEMs Beitrag ist daher notwendig, bleibt aber mit jährlich zwischen rund 80 und 100 Millionen US-Dollar mit Blick auf die Finanzierungslücke für Unternehmen bescheiden, werden doch diese allein in Afrika auf über 300 Milliarden Dollar pro Jahr geschätzt. Der Erfolg von SIFEMs Investitionen wird daher längerfristig nur dank der zusätzlichen Mobilisierung von Privatinvestitionen gesichert sein.



*Jörg Frieden, Verwaltungsratspräsident Swiss Investment Fund for Emerging Markets (SIFEM) Startseite | SIFEM - Swiss Investment Fund for Emerging Markets und ehemaliger Schweizer Botschafter.