Kolumne

Ein Handelsgesetz für mehr Demokratie und Nachhaltigkeit

von Elisabeth Bürgi Bonanomi | Juni 2017
Die Kontroversen über neue Freihandelsabkommen legen den Schluss nahe, dass die demokratische Meinungsbildung in der Schweiz und in der EU neu gestaltet und die Ziele einer nachhaltigen Entwicklung verstärkt beachtet werden sollten.

Die neuen Handelsverträge regeln neben Zöllen immer stärker auch die sogenannten «behind the border issues». Es handelt sich um Regeln im Bereich des Geistigen Eigentums, der Produktestandards und des Arbeitnehmer- und Umweltschutzes. Sie sind oft hart umstritten und führten in der EU, aber auch in der Schweiz, zu konfliktreichen Diskussionen. Es geht dabei nicht nur um einen Streit über neue Regeln, sondern auch darum, dass über die Handelsverhandlungen  Kompetenzen von der Legislative weg in die Exekutive verlagert werden.

Parlament muss einbezogen werden
Gemäss Professor Thomas Cottier zeigen die jüngsten Kontroversen um neue Handelsabkommen, dass diese auf eine bessere rechtliche Basis gestellt werden müssen. Wie er an der «Aussenpolitischen Aula» der SGA-ASPE über «Neue Freihandelsabkommen – Verbesserte Handelsregulierung oder Un-Freihandel» (vom 26. April) ausführte, müsste vor allem die Legislative frühzeitig und als bestimmende Kraft einbezogen werden. Deshalb brauche die Schweiz ein Handelsgesetz, das es bis dato nicht gebe. Ein solches Gesetz müsse das Verfahren neu gestalten und die wichtigsten inhaltlichen Pflöcke einschlagen.

Der Bundesrat kann sich bei der Aushandlung von Handelsverträgen auch heute nicht frei bewegen. Er muss sich an die Bundesverfassung halten, die in Art. 54 BV vorgibt, dass sich der Bund in den auswärtigen Angelegenheiten «für die Wahrung der Unabhängigkeit der Schweiz und für ihre Wohlfahrt» einsetzt und beiträgt «zur Linderung von Not und Armut in der Welt, zur Achtung der Menschenrechte und zur Förderung der Demokratie, einem friedlichen Zusammenleben der Völker sowie zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen». Gemäss Art. 101 BV hat der Bundesrat in der Aussenwirtschaftspolitik «die Interessen der schweizerischen Wirtschaft im Ausland» zu wahren, und er kann «nötigenfalls vom Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit abweichen». Bald könnte mit dem Gegenentwurf zur zurückgezogenen Volksinitiative «Für Ernährungssicherheit», der am 24. September 2017 zur Abstimmung kommt, auch der neue Art. 104a BV Abs. d in der Bundesverfassung stehen. Dieser wird vorschreiben, dass der Bund Voraussetzungen schafft für «grenzüberschreitende Handelsbeziehungen, die zur nachhaltigen Land- und Ernährungswirtschaft beitragen». Damit würde die rechtliche Basis für nachhaltige Handelsbeziehungen im Agrarbereich gestärkt.

Handelsgesetz soll Leitplanken vorgeben
Damit bewegt sich der Bundesrat in einem ziemlich grossen Spannungsfeld von Interessen. Es gibt aber bislang keine Verfahren, die gewährleisten, dass die Konfliktlinien sichtbar gemacht und die einzelnen Interessen sorgfältig gegeneinander abgewogen werden. So ist die Idee, ein Handelsgesetz zu erarbeiten, das die Verfassungsvorgaben für Handelsverträge konkretisieren soll, in der Tat sehr zeitgemäss. Bei der Erarbeitung müsste man sich nicht nur Gedanken machen darüber, wer zu welchem Zeitpunkt sinnvollerweise mitbestimmen sollte, um die Legitimität von Handelsverträgen zu erhöhen, und wie ein frühzeitiger Einbezug des Parlaments und allenfalls der Kantone aussehen sollte. Ein Handelsgesetz sollte auch die normativen Vorgaben der Bundesverfassung konkretisieren und Verfahren anbieten, die sicherstellten, dass die (mit jedem Handelsvertrag verbundenen) «trade-offs» sichtbar gemacht werden. Ferner sollte es auch sicherstellen, dass eine zielgerichtete Diskussion darüber stattfindet, wie die Konflikte optimal aufgelöst werden können. Wie kann gewährleistet werden, dass die Handelsverträge einerseits der «Wohlfahrt» der Schweiz Rechnung tragen, anderseits «zur Linderung von Not und Armut» beitragen oder die «nachhaltige Land- und Ernährungswirtschaft» stärken?

Bedeutung von Wirkungsanalysen für die Nachhaltigkeit
Ein zentrales Instrument, das sicherstellen hilft, dass Handelsabkommen den Zielen der Nachhaltigkeitsagenda gerecht werden, sind Wirkungsanalysen. Wenn Handelsabkommen – vor deren Abschluss, aber auch nachträglich – auf ihre Umwelt- und Menschenrechtswirkungen hin überprüft werden, dann ermöglicht dies, Handelsabkommen besser auszugestalten: Nämlich so, dass sie Prozesse auslösen, die den Menschenrechten und der Umwelt in der Schweiz und im Partnerland nicht schaden, sondern dienen. Und so, dass die relevanten Fragen gestellt werden: Wo gilt es Märkte zu öffnen, wo zu schützen, und wo mit Nachhaltigkeitsstandards zu unterlegen?

Solche Wirkungsanalysen, sofern konsistent vorgenommen, können massgeblich dazu beitragen, dass die von SDG 17 postulierte «politische Kohärenz für Nachhaltige Entwicklung» erhöht wird. Dieses Analyseinstrument ermöglicht einen evidenzbasierten Entscheidungsprozess, indem die zu erwartenden Konfliktlinien sichtbar gemacht werden. Dieses Wissen wiederum ermöglicht erst die oben erwähnte Interessensabwägung. So sollte ein Handelsgesetz Wirkungsanalysen vorsehen und auch regeln, wie sie in den politischen Prozess eingebunden sein sollten.

Wirkungsanalysen in der Schweiz und in anderen Ländern?
Die Schweiz untersucht die Menschenrechts- und Umweltauswirkungen von Handelsabkommen bislang nicht systematisch, weder vorgängig («ex ante») noch nachträglich («ex post»). Menschenrechtsinstitutionen (wie das UNO-Komitee für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte oder der UN-Menschenrechtsrat), die OECD, aber auch etwa der Aktionsplan Grüne Wirtschaft, fordern solche Analysen indes schon seit längerer Zeit ein. Der Bundesrat hat auch in diversen Strategien anerkannt, dass die Bezugnahme zwischen Handel und Nachhaltigkeit verbessert werden soll. Und weil das Bewusstsein dafür wächst, dass diese Lücke geschlossen werden muss, führte die Parlamentarische Verwaltungskontrolle (PVK) im Auftrag der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates eine Evaluation zu den Auswirkungen von Freihandelsabkommen durch, deren Bericht voraussichtlich im Juli 2017 veröffentlicht wird.

Im Gegensatz zur Schweiz unterzieht die EU seit mehr als 15 Jahren sämtliche ihrer Handelsabkommen (und neuerdings auch die darin enthaltenen Investitionsschutzbestimmungen) Nachhaltigkeits-Wirkungsanalysen (sog. Sustainability Impact Assessments, SIA). Auch wenn die Methode Schwachstellen aufweist, so gilt sie doch als wichtiger Bezugspunkt für entsprechende Forderungen. Kürzlich hat die EU ihre Methode angepasst und das menschenrechtliche Analyseinstrumentarium verbessert. Staaten wie die US und Kanada kennen ähnliche Instrumente. Auch zivilgesellschaftliche Organisationen haben verschiedentlich menschenrechts- und umweltbezogene Wirkungsanalysen durchgeführt.

Die Schweiz hat bislang wegen der methodischen Schwierigkeiten und der Kleinräumigkeit der Schweiz auf Wirkungsanalysen verzichtet. Die Methoden sind über die Jahre aber besser geworden, und es wächst das Bewusstsein, dass auch die Schweiz mit ihren Handelsabkommen (ob alleine abgeschlossen oder im Verbund mit der EFTA) die Menschenrechte und die Umwelt positiv oder negativ beeinflussen kann.

Zeit ist reif
Mit den neuen Nachhaltigkeitszielen der UNO ist die Zeit reif dafür, genauer hinzuschauen und Handelsabkommen auf die Nachhaltigkeitsziele hin auszurichten. Mark Halle vom International Institute for Sustainable Development IISD schrieb kürzlich «Taking the Leap to Realign Trade and Sustainable Development: Now is the time”. Andere sprechen vom «Trump-Fenster»: gegenwärtig werde deutlich, dass eine rein auf nationale Interessen bezogene Handelspolitik die Weltgemeinschaft nicht voranbringe, dass aber auch die Frage nach den Verliererinnen und Verlierern deutlich gestellt werden müsse. Auch Exponenten des freisinnigen Lagers in der Schweiz äussern sich ähnlich. So hat jüngst FDP-Nationalrat Walter Müller auf einer Veranstaltung von Swissaid dazu aufgerufen, Handelsabkommen nachhaltig auszugestalten, um deren Zukunft zu sichern. Und Public Eye schreibt: «Die globalisierungskritische Bewegung hat die Globalisierung nicht verteufelt, erst recht nicht offene Grenzen für Menschen, Ideen und kulturelle Einflüsse». Es gebe aber «thousands of alternatives». Wirkungsanalysen helfen, diese Alternativen in den Blick zu bekommen und Handelsabkommen an übergeordneten Zielsetzungen auszurichten. Nachhaltige Entwicklung als übergeordnete Zielsetzung hat dabei das Potenzial, «Machtpolitik durch Pflichtenethik und egoistisches Nutzendenken durch Menschenwürde» (Mauch Consulting, Politik der nachhaltigen Entwicklung in der Schweiz, Hauptbericht 2001) zu ersetzen. So sollten wir die Idee eines Handelsgesetzes weiterverfolgen und darin auch vorsehen, dass Handelsverträge neben ihren Auswirkungen auf die Wirtschaft auch auf ihre Umwelt- und Menschenrechtswirkungen hin überprüft werden. Ziel ist es, dass Handelsverträge möglichst nachhaltig ausgestaltet werden, also möglichst vielen Interessen und Menschen gerecht werden.

Autorin: Dr. iur. Elisabeth Bürgi Bonanomi, CDE, Universität Bern