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Eine erste Zwischenbilanz der Schweizer Sicherheitsrats-Mitgliedschaft 

von Fabien Merz* | Juni 2023
Eine schwierige Ausgangslage

Die Schweiz hat ihr Mandat als gewähltes Mitglied des UNO-Sicherheitsrats Anfang 2023 in einem sich von intensivierenden Grossmächtespannungen charakterisierten internationalen Umfeld angetreten. Für nichtständige Mitglieder haben diese Spannungen im Rat einerseits zusätzliche Herausforderungen zur Folge, können andererseits aber auch mit gewissen Chancen verbunden sein. Die Herausforderung hängen unter anderem damit zusammen, dass der Sicherheitsrat ganz grundsätzlich auf die Zusammenarbeit seiner Mitglieder angewiesen ist, um zu funktionieren und sein Mandat zu erfüllen. Internationale Spannungen, gerade unter den fünf ständigen Vetomächten, verkomplizieren diese Kooperation. Dies kann den Handlungsspielraum von gewählten Ratsmitgliedern einschränken und es erschweren, eigene Initiativen erfolgreich einzubringen und voranzutreiben. Gerade für gewählte Ratsmitglieder mit dem aussenpolitischen Profil der Schweiz besteht aber unter anderem auch die Chance, sich als Vermittler oder gar als Brückenbauer einzubringen.

Vor diesem Hintergrund und im Rahmen der Vorbereitungen auf den Einsitz hat sich die Schweiz nebst einer glaubwürdigen Mitarbeit bei der gesamten Bandbreite der im Sicherheitsrat behandelten thematischen und geografischen Dossiers ebenfalls vorgenommen, einen besonderen Fokus auf Initiativen in vier Bereichen, den sogenannten thematischen Prioritäten zu legen. Dazu gehören 1. das Fördern des nachhaltigen Friedens, 2. der Schutz der Zivilbevölkerung, 3. die Klimasicherheit sowie 4. die Erhöhung der Effizienz des Rats.

Erfolge bei den wichtigsten Mandatserneuerungen

Bereits ganz zu Beginn ihres Mandats, Anfang Januar 2023, gelang es der Schweiz, gemeinsam mit Brasilien und aufbauend auf den Bemühungen von Norwegen und Irland, welche von Anfang 2021 bis Ende 2022 Mitglieder des Rats waren, das wichtige Mandat zur grenzüberschreitenden humanitären Hilfe in Syrien zu erneuern. Dies gelang trotz stark divergierenden Sichtweisen unter einigen Ratsmitgliedern, darunter auch der ständigen Mitglieder, sowie starker Vorbehalte vonseiten Russlands. Als Co-Federführerin für das humanitäre Syriendossier hatte die Schweiz die entsprechende Resolution gemeinsam mit Brasilien eingebracht und sich für deren Annahme eingesetzt. Durch die Erneuerung des Mandats wurde sichergestellt, dass über 4 Millionen Menschen im Nordwesten von Syrien für ein weiteres halbes Jahr mit humanitärer Hilfe versorgt werden können. Dies ist gerade vor dem Hintergrund des russischen Einmarsches in der Ukraine im Februar 2021 und der damit einhergehenden drastischen Verschlechterung der Beziehungen zwischen Russland und den westlichen Ratsmitgliedern als beachtlicher Erfolg zu werten.

Anfang Februar 2023 wurde das Mandat des Büros der Vereinten Nationen für Westafrika und den Sahel (UNOWAS), welches insgesamt 16 Länder umfasst und sich für Frieden und Entwicklung in der Sahelzone engagiert, um drei Jahre verlängert. Dabei konnte die Schweiz als eine der beiden Co-Federführerinnen für dieses Dossier ihre Expertise unter anderem in den Bereichen iherer thematischen Prioritäten, insbesondere des Schutzes der Zivilbevölkerung, der Förderung von nachhaltigem Frieden sowie der Abfederung von negativen Auswirkungen des Klimawandels auf die Sicherheit einbringen und zum Teil auch in die Mandatserneuerung einfliessen lassen. Im Bereich der Klimasicherheit setzt sich die Schweiz in diesem Rahmen zum Beispiel dafür ein, dass die Bewältigung klimabedingter Auswirkungen auf die Sicherheitslage in der Region stärker berücksichtigt wird.

Auch bei der Mitte Februar dieses Jahres per Ratsresolution verabschiedeten Mandatserneuerung der UNO-Mission im Südsudan (UNMISS) konnte die Schweiz unter anderem Elemente im Bereich ihrer thematischen Prioritäten, darunter des Schutzes der Zivilbevölkerung, der Förderung von nachhaltigem Frieden und der Klimasicherheit einbringen. Im Bereich der Klimasicherheit hat sich die Schweiz in den Verhandlungen des Mandats der UNMISS zum Beispiel dafür eingesetzt, dass der UNO- Generalsekretär in seiner Berichterstattung an den Sicherheitsrat neu auch auf die Risiken im Zusammenhang mit den Auswirkungen des Klimawandels Bezug nimmt. Ende Mai 2023 wurde zudem das Mandat der Unterstützungsmission der UNO für den Irak, der UNAMI, verlängert. Auch hier hat sich die Schweiz unter anderem dafür eingesetzt, dass die Aspekte der Klimasicherheit im Mandat beibehalten beziehungsweise gestärkt wurden.

Vertretung auf höchster politischer Ebene während der Ratspräsidentschaft

Im Mai 2023 hatte die Schweiz die Präsidentschaft des Sicherheitsrates inne. Die Ratspräsidentschaft gilt jeweils als gute Gelegenheit, die eigenen Prioritäten in den Fokus zu stellen und voranzutreiben, etwa durch das Organisieren von spezifischen Ratsveranstaltungen. Die Schweiz hat während ihrer Präsidentschaft mehrere solche Veranstaltungen organisiert, unter anderem, um ihre thematischen Prioritäten in den Bereichen der Förderung des nachhaltigen Friedens und des Schutzes der Zivilbevölkerung voranzutreiben. Am 3. Mai hat Bundesrat Cassis eine offene Debatte zur Förderung des nachhaltigen Friedens geleitet, die darauf abzielte, die Ansätze und Instrumente des Sicherheitsrates zur Vertrauensbildung zu überprüfen und zu stärken. Am 23. Mai hat Bundespräsident Alain Berset zudem eine weitere von der Schweiz organisierte offene Debatte zum Schutz der Zivilbevölkerung moderiert.

Zwei Tage später, am 25. Mai, ist Bundesrätin Viola Amherd nach New York gereist, um eine Ratssitzung zur nachhaltigen Finanzierung von friedensunterstützenden Missionen der Afrikanischen Union (AU) zu leiten. Gegen Ende der Ratspräsidentschaft, am 30. Mai, gelang es zudem unter anderem dank der Bemühungen der Schweizer Diplomatie, eine Sitzung zum Schutz des ukrainischen Kernkraftwerks in Saporischschja durchzuführen. Diese Sitzung wurde erneut von Bunderat Cassis präsidiert.

Ein guter Start

Gemäss der Einschätzung von Beobachterinnen und Beobachtern konnte die Schweiz, im Einklang mit den von ihr gesetzten Ziele, bisher bei der gesamten  Bandbreite der im Sicherheitsrat behandelten Themen engagiert und glaubwürdig mitarbeiten und sich vielerorts konstruktiv einbringen. Zudem ist es der Schweizer Diplomatie gelungen, die thematischen Prioritäten der Schweiz im Rat voranzutreiben. Einerseits unter anderem bei den Mandatserneuerungen der UNOWAS im Sahel, der UNMISS im Südsudan und der UNAMI im Irak, andererseits aber auch während der Schweizer Ratspräsidentschaft im Mai, während der gleich drei Mitglieder des Bundesrates, nach New York gereist sind, um Sitzungen zu verschiedenen Themenkreisen zu leiten.

Nebst dem Vorantreiben ihrer thematischen Prioritäten und der glaubwürdigen Mitarbeit in der gesamten Bandbreite der vom Rat behandelten Dossiers hat die Schweiz zudem auch dazu beigetragen, dass der Sicherheitsrat trotz der gegenwärtig sehr angespannten internationalen Lage sein Mandat in den meisten Dossiers weiter erfüllen konnte. Als vielleicht bestes Beispiel dafür dient die unter der Co-Federführung der Schweiz im Januar 2023 beschlossene Verlängerung des Mandats zur grenzüberschreitenden humanitären Hilfe in Syrien, einem notorisch stark von diesen Spannungen beeinträchtigten Dossier.  Allerdings haben einige Beobachterinnen und Beobachter kritisiert, dass es der Schweiz nicht gelungen sei, eine grössere Aufmerksamkeit auf den Krieg im Sudan zu lenken, obwohl dies vermutlich weniger auf die fehlenden Bemühungen der Schweizer Diplomatie als vielmehr auf die starke Opposition der drei afrikanischen Ratsmitglieder zurückzuführen ist. Entsprechend scheint die Schweiz im knapp ersten Viertel ihres Mandats im Sicherheitsrat einen guten Start mit nur wenigen Versäumnissen hingelegt zu haben.

Die Herausforderungen bleiben bestehen

Diese positive Zwischenbilanz sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die nächsten gut eineinhalb Jahre des Schweizer Mandats bis Ende 2023 als weiterhin herausfordernd abzeichnen. Zu den wichtigsten Aufgaben, die unmittelbar anstehen, gehört die im Juli erneut traktandierte Mandatsverlängerung für die grenzüberschreitende humanitäre Hilfe in Syrien. Obwohl natürlich auch von Faktoren abhängig, auf die die Schweiz keinen direkten Einfluss nehmen kann, wird sich dort zeigen, ob es der Schweiz als Co-Penholderin für das entsprechende Dossier gelingen wird, an ihren ersten Erfolg im Januar anzuknüpfen. Zudem dürfte es für die Schweiz weiterhin herausfordernd bleiben, die angespannten Ratsdynamiken zu navigieren und wie bisher nicht nur glaubwürdig auf der ganzen Bandbreite der im Sicherheitsrat behandelten Themen mitzuwirken, sondern weiterhin auch in den Bereichen ihrer thematischen Prioritäten Fortschritte zu erzielen.

*Fabien Merz ist Senior Researcher und Co-Teamleiter des Teams für Schweizer und euro-atlantische Sicherheit am Center for Security Studies (CSS). Er ist zudem Mitherausgeber der monatlich erscheinenden Reihe CSS-Analysen zur Sicherheitspolitik und des CSS-Bulletins, das einmal im Jahr erscheint.