Veranstaltungsbericht

Grenzregionen verdichten die Beziehungen zu Europa

von Christoph Wehrli | November 2023
Mit dem Beschluss, ein Verhandlungsmandat auszuarbeiten, hat der Bundesrat einen weiteren kleinen Schritt unternommen, um aus der Krise der Beziehungen zur EU hinauszugelangen. Dass dies gelinge, wünscht man sich besonders intensiv an der Dreiländerecke am Oberrhein. Die Interessen wurden an einer von Nationalrätin Sarah Wyss (SP) moderierten Veranstaltung der SGA an der Universität Basel klar dargelegt. Ein Erfolg in den Verhandlungen und erst recht in der Innenpolitik ist allerdings noch lange nicht gesichert. Ein Problempotential liegt namentlich in der Migrationspolitik.

Schlüsselfaktor Migration

Christine Schraner Burgener, Staatssekretärin für Migration, machte deutlich, dass die grenzüberschreitende Mobilität ein zentrales und selbstverständliches Element der Verflechtung der Schweiz mit den Ländern der EU geworden ist. Der Handel mit den Nachbarregionen sei etwa so umfangreich wie jener mit den USA. Die rund 400'000 Grenzgänger aus den umliegenden Staaten tragen ihrerseits zur überdurchschnittlichen Dynamik der schweizerischen Grenzregionen bei, in denen sie arbeiten. Um trotz gut durchlässigen Staatsgrenzen die Sicherheit zu gewährleisten, besteht eine enge Zusammenarbeit von Polizei, Justiz und Zollbehörden.

Probleme sind durch die irreguläre Migration entstanden. Sie hat, wie die Referentin ausführte, stark zugenommen, da während der Pandemie viele Asylsuchende unterwegs blockiert gewesen seien und die Türkei Afghanen nun zurückschicken wolle. Die Schweiz dient vor allem als Transitland. Deutschland reagierte allerdings mit systematischeren Grenzkontrollen. Schraner bedauert dies, nimmt aber an, dass die deutschen Behörden weiterhin mit Augenmass vorgehen. Sonst käme es zu langen Warteschlangen im regulären Grenzverkehr. Bisher seien kaum negative Auswirkungen festzustellen, auch keine Zunahme der Asylgesuche in der Schweiz. Nationale Massnahmen werden nach Schraner dem Problem aber nicht gerecht. Bern setze auf Aktionspläne, die mit den Nachbarländern vereinbart worden seien und die unter anderem gemeinsame Polizeipatrouillen enthalten. Dringend revisionsbedürftig sei das Rückübernahmeabkommen mit Österreich, das noch keine unmittelbaren Rückschiebungen erlaube. Schraner verwies auch auf die laufende Asylreform der EU.

Fortschritte in den Gesprächen mit der EU

Welche Perspektiven sieht die zuständige Chefbeamtin für die Personenfreizügigkeit mit der EU? Der Mangel an Fach- oder generell an Arbeitskräften habe sich deutlich erhöht, könne aber wegen ähnlicher demografischer Tendenzen in anderen Ländern durch Zuwanderung allein nicht beseitigt werden. Zudem hätten Sorgen über das Bevölkerungswachstum im Wahlkampf eine prominente Rolle gespielt. Die neue SVP-Initiative könnte letztlich die Kündigung des Freizügigkeitsabkommens verlangen. Schraner deutete an, dass die Debatte nicht einfach die Bedingungen für Migranten, sondern das Wirtschaftswachstum, somit auch etwa die Standort- oder die Steuerpolitik ins Auge zu fassen hätte. Zur besseren Ausschöpfung des einheimischen Fachkräftepotenzials hat der Bundesrat vor einigen Jahren ein Massnahmenpaket beschlossen. Über dessen (wohl begrenzte) Wirksamkeit soll Ende März ein Bericht veröffentlicht werden.

Gleichzeitig ist die Personenfreizügigkeit Bedingung für die Beteiligung am europäischen Binnenmarkt. Die EU hat die betreffenden Rechte weiterentwickelt und in der Unionsbürger-Richtlinie zusammengefasst. Die Schweiz möchte diese nur mit bestimmten Ausnahmen übernehmen und hat darüber zahlreiche «technische Gespräche» geführt, denen nun eigentliche Verhandlungen folgen sollen. Man sei auf gutem Weg und weit vorangekommen hielt Christine Schraner Burgener fest.

Wirtschaft sucht Stabilität

Die Basler Nationalrätin Sibel Arslan (Grüne), Mitglied des SGA-Vorstands, gab einen Überblick über den intensiven Austausch und die vielfältige Zusammenarbeit in ihrer trinationalen Region – Beziehungen, die von einem geregelten Verhältnis zur EU abhängig seien (was sie im Einzelnen nicht näher ausführte). Die Vernetzung reicht vom Pendeln über die Grenze bis zu gemeinsamen Projekten in Bildung und Forschung, von der Kultur bis zur Verbrechensbekämpfung und vom Verkehr bis zum Umweltschutz, indem beispielsweise Transportketten Schiff – Bahn gefördert werden. Den institutionellen Rahmen bilden die Oberrheinkonferenz auf Ebene der Exekutiven und der Oberrheinrat als parlamentarisches Gremium. Die besonders dynamische Region sollte, so wünschte es sich Arslan, bei den jeweiligen Regierungen vermehrt auf Fortschritte in der Europapolitik hinwirken.

Von einer Wirtschaftshochburg sprach Simone Wyss Fedele, CEO von Switzerland Global Enterprise (SGE) und Vorstandsmitglied der SGA. Die Nordwestschweiz exportiert mehr als dreimal so viel wie der Kanton Zürich und weist einen der erfolgreichsten Life-Science-Cluster auf: rund 700 Firmen mit 30'000 Arbeitsplätzen, in Verbindung mit verschiedenen Hochschulen. Als Organisation der Standortförderung bemüht sich SGE um die Ansiedlung von Unternehmen, die solche «Innovations-Ökosysteme» ergänzen. Die Attraktivität beruhe nicht auf günstigen Steuern, sondern auf dem Vorhandensein von Talenten (auch aus dem Ausland) und Partnern sowie auf einem guten Zugang zu Märkten für den Export. Daraus ergibt sich die Bedeutung der Personenfreizügigkeit und des diskriminierungsfreien Handels mit der EU. Diese bleibe noch lange der wichtigste Handelspartner der Schweiz, auch wenn das Wachstum beim Austausch mit Amerika und Asien liege. Zu bedenken gab Wyss auch die neuen Konflikte und Polarisierungen in der Welt. Unternehmen suchten Stabilität, und dafür sorgten gute Beziehungen zur EU, dem Partner, der wünscht, dass die Schweiz dazugehört.

Gerade auch für die Wirtschaft sei denn auch das vorgesehene Schiedsverfahren zwischen der Schweiz und der EU von Vorteil, sagte Christa Tobler, Professorin für Europarecht an der Universität Basel. Gerichte wirkten klärend. Heute können Streitigkeiten um die Auslegung der bilateralen Verträge nur politisch (oder eben nicht) beigelegt werden. Tobler betonte ausserdem die schädlichen Folgen der heutigen Zurückstufung der Schweiz bei der Forschungskooperation. Nach einer Einigung in den institutionellen Fragen sei eine Rückkehr zur vollen Beteiligung zu erwarten.