Wochenrückblick

Schweiz im Sicherheitsrat KW 15-2024

von Johann Aeschlimann | April 2024
Palästina: Der Rat hat das palästinensische Gesuch auf Vollmitgliedschaft bei den Vereinten Nationen reaktiviert und das Geschäft an den zuständigen Ausschuss (Committee on the Admission of New Members) überwiesen. Die palästinensische Autonomiebehörde, bei der UNO als State of Palestine als Beobachter dabei, stellte die Forderung an den UNO-Generalsekretär. Das Beitrittsgesuch stammt aus dem Jahr 2011, blieb aber ohne Folgen. Erstes Entscheidgremium ist der Sicherheitsrat. Malta, das die Präsidentschaft derzeit innehat, brachte das Geschäft ein. Die Überweisung an den Ausschuss traf auf keine Einwände. Gemäss dem palästinensischen Antrag soll der Sicherheitsrat noch im April einen Entscheid fällen. Für die Zustimmung braucht es 9 der Stimmen. Ein Nein der 5 Vetomächte bedeutet automatisch die Ablehnung. Stimmt der Sicherheitsrat zu, geht das Geschäft an die Generalversammlung. Dort ist für die Zustimmung eine Zweidrittelmehrheit notwendig.

Kolumbien: Das Glas ist weiterhin mehr als halb voll, Kolumbien bleibt Vorzeigebeispiel für die erfolgreiche Bewältigung jahrzehntelanger gewalttätiger innerer Auseinandersetzungen, in denen sich sozialrevolutionäre Anliegen, reaktionäre Repression und gewerbsmässige Kriminalität vermengen. Dies ist der Tenor des Vierteljahresberichts, den der Chef der UNO-“Verifikationsmission” dem Rat abgestattet hat. Er sprach der Regierungspolitik des “totalen Friedens” sein Vertrauen aus. Diese betreibt neben der Umsetzung geltender Friedensabkommen den Einbezug der aussenstehenden Guerilla-Gruppen. Als weitere kritische Bereiche für den Erfolg nannte der UNO-Vertreter die Landreform, die Reintegration ehemaliger Kämpfer ins zivile Leben und die gerichtliche Bewältigung der Gewaltakte (transitional justice). Dazu ist in den Friedensabkommen eine Sondergerichtsbarkeit (Special Jurisdiction for Peace in Advancing Transitional Justice). Die Schweiz stellte diesen Aspekt in den Vordergrund. Sie sagte, der Friedensprozess gelinge nur, wenn die Verantwortlichen für die Gewalt zur Rechenschaft gezogen würden: la garantie de justice et de reddition des comptes pour les crimes commis est essentielle au succès du processus de paix. Die Schweiz organisierte ein side-event (Zusatzveranstaltung zur Ratssitzung) mit dem Präsidenten des Sonderorgans. Dieses steht in der Kritik, unter anderem wegen der langen Dauer seiner Entscheide, und weil es nicht nur die oberste Führung der Guerilla, sondern auch untere Kader ins Visier nimmt. Neben der Aburteilung der Guerilla-Gräuel ist die Garantie der Sicherheit ehemaliger Kämpfer vor willkürlichen, möglicherweise gezielten Tötungen ein weiterer Aspekt bei der Umsetzung des kolumbianischen Friedensprozesses. Der UNO-Vertreter sagte, in der Berichtsperiode seien 11 Kämpfer ums Leben gebracht worden.

Ukraine: In zwei getrennten Sitzungen hat der Rat sich mit den über zwei Jahre dauernden Krieg gegen die Ukraine beschäftigt. UNO-Vertreter berichteten über eine Intensivierung der russischen Angriffe im ganzen Land, mehr zivile Opfer und die systematische Zerstörung von ukrainischen Infrastrukturanlagen. Erstmals seit November 2022 sei das (von Russland betriebene) Atomkraftwerk Saporischia beschossen worden. Das UNO-Nothilfebüro erklärte, es gebe keinen humanitären Zugang zu den russisch besetzten Gebieten. In einer weiteren, von Russland beantragten Sitzung ging es zum wiederholten Male um die amerikanischen und europäischen Waffenlieferungen an die Ukraine. Die Schweiz forderte Russland auf, den Krieg zu beenden und sich aus der Ukraine zurückzuziehen. Sie plädierte für einen “dauerhaften und gerechten Frieden”, welcher der UNO-Charta entsprechen, also die territoriale Unversehrtheit der Ukraine respektieren müsse. Sie warb für die Ukraine-Konferenz im kommenden Juni auf dem Bürgenstock. Die Veranstaltung wurde von keinem anderen Ratsmitglied erwähnt.

Guyana: Die Regierung von Venezuela  hat den seit langem bestehenden Anspruch auf einen grossen Teil des Staatsgebiets seines Nachbarn Guyana erneuert und in einem Plebiszit untermauern lassen. In geschlossener Sitzung hat der Rat sich auf Antrag Guyanas mit der Lage befasst.

Südsudan: In geschlossener Sitzung hat der Rat sich über den Stand der Vorbereitungen zu mehrfach verschobenen, nun auf Ende Jahr angesetzten Wahlen unterrichten lassen.

Vetos: Jedes Veto im Sicherheitsrat wird innerhalb von zehn Tagen der Generalversammlung zur Debatte vorgelegt. Dort können sich die 193 Mitgliedsstaaten äussern. Die beiden jüngsten Fälle betreffen den Waffenstillstand in Gaza und die Umsetzung der Sanktionen gegen Nordkorea. Die Expertengruppe, welche den von der Schweiz geleiteten Sanktionsausschuss mit Datenmaterial und Analysen unterstützt, ist ausgeschaltet, weil Russland sein Veto gegen die  Verlängerung des Mandats eingelegt hat. Die Schweiz wies darauf hin, dass die Sanktionen gegen das Rüstungsprogramm und die Waffenexporte von Nordkorea in Kraft bleiben. Sie forderte alle Staaten auf, ihnen Folge zu leisten. Ein Gaza-Waffenstillstand wurde im Sicherheitsrat zunächst von den USA, dann von China und Russland mit ihren Vetos sabotiert, bevor eine von den 10 nichtständigen Mitgliedern eingebrachte Resolution verabschiedet werden konnte. In der Debatte der Generalversammlung bedauerte die Mehrzahl der UNO-Mitgliedsstaaten die Handlungsunfähigkeit des Sicherheitsrats in der Gaza-Frage und die Wirkungslosigkeit des schliesslich ergangenen Aufrufs. Von den meisten Seiten wurde mehr Schutz der Zivilbevölkerung verlangt. Der Vertreter Israels sagte, die “Entradikalisierung” der palästinensischen Gesellschaft sei eine “nicht verhandelbare” israelische Forderung. In dieser Auseinandersetzung seien Israel das Opfer, die Palästinenser die Täter und die UNO auf der Seite der Täter. Er zog die Parallele zu den Judenverfolgungen im Dritten Reich: “Wenn Hitler heute lebte, würde er das Lob der UNO singen”.
Wochenrückblick

Schweiz im Sicherheitsrat KW 16/2024

von jaeschlimann | April 2024
Themen der Woche: Palästina, Israel-Gaza-Iran, UNRWA, Jemen, Ukraine, Libyen, Westsahara, Sudan, OSZE, Jugend