Editorial
Isle of Man, Grossbritannien und die Schweiz
von SGA-Präsidentin Gret Haller
| November 2017
Eine kleine Insel in der irischen See steht im Mittelpunkt der «Paradise-Papers». Der Brexit kann anregen zu Gedanken über die Schweiz und ihre republikanische Tradition.
Ich bin ein Kind des Europarates. Denn 1975 wurden für mich die Menschenrechte im Rahmen dieser Organisation eine berufliche Realität. Sechs Wochen pro Jahr verbrachte ich damals im «Expertenkommittee für Menschenrechte» in Strassburg, in dem Fachleute der Regierungen aus den Hauptstädten der Mitgliedstaaten zusammenkamen. Als «kleine Schwester» aus dem heutigen Bundesamt für Justiz lernte ich viel vom lange erfahrenen Vertreter des EDA, der die Schweiz in diesem Gremium bis anhin allein vertreten hatte. Die neue Zweiervertretung war eine Folge davon, dass es Bundesrat Furgler gelungen war, die Zuständigkeit für die Bearbeitung der Beschwerdefälle im EJPD anzusiedeln.
Da ich diese Bearbeitung zu organisieren hatte, machte ich mich mit der damaligen Entscheidpraxis der Strassburger Gremien vertraut. Zu Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention, welcher unmenschliche und erniedrigende Strafen verbietet, stiess ich auf einen Fall unter dem Stichwort «Prügelstrafe» auf der Isle of Man. Gegen Grossbritannien war eine Beschwerde erhoben worden im Namen eines Jugendlichen, der diese Strafe erlitten hatte. Die Rechtsgrundlage dafür fand sich in einem auf der Isle of Man erlassenen Gesetz. Die Beschwerde richtete sich gegen Grossbritannien, denn dieser Mitgliedstaat hatte im Jahre 1953 eine Erklärung abgegeben, wonach die Konvention auch für die Bewohner der Isle of Man gelte, denn es handelte sich um Hoheitsgebiet, für dessen internationale Beziehungen Grossbritannien zuständig war. Die Beschwerde wurde später gutgeheissen und Grossbritannien musste dafür sorgen, dass auf der Isle of Man die «Prügelstrafe» abgeschafft wurde.
Auch jetzt geht es um Grossbritannien
Wo diese Isle of Man gelegen war, interessierte mich damals nicht – irgendwo im Commonwealth of Nations musste es sein. Umso erstaunter blickte ich jetzt auf einen Kartenausschnitt: Die Insel liegt zwischen England und Irland. Ihr Status ist immer noch derselbe, Nicht-Mitglied der EU, und für die Aussen- und Verteidigungspolitik ist London zuständig – eine sogenannte «Kronbesitzung». Die «Paradise-Papers» haben die fatale Rolle der Insel für Steuerhinterziehungen aller Art ans Licht gebracht. Was nun? – fragen sich aussenpolitisch interessierte Betrachter – auch in der Schweiz.
Beim Treffen der Finanzminister hat die EU angekündigt, ihre schwarze Liste von Steueroasen rasch zu vervollständigen. Dies soll nicht nur den Druck auf Gesetzesänderungen in diesen Oasen erhöhen, sondern – wie insbesondere der französische Finanzminister gefordert hat – es sollen Sanktionsmöglichkeiten geschaffen und konsequent angewendet werden. Von der EU kann eine wirksame Reaktion auf die Enthüllungen am ehesten erwartet werden, auch wenn sich unter den Mitgliedstaaten einige mit etwelcher «Schlupflöcher-Erfahrung» finden.
Interessant wird die Sache im Zusammenhang mit dem Brexit. Der Zugang Grossbritanniens als Nicht-Mitglied der EU zum Binnenmarkt kann von Bedingungen abhängig gemacht werden – der Hebel der EU gegenüber den Britten wird also länger. Da drängt sich nun ein Vergleich mit der Schweiz auf: Auch sie muss sich den EU-Regeln immer wieder anpassen, ohne selber über deren Neuausgestaltung mitzureden oder gar mitzuentscheiden.
Zwar wird die Schweiz von der OECD dafür gerühmt, dass sie heute vieles zulässt, was sie als Hüterin des Bankgeheimnisses lange verweigert hatte. Offensichtlich ist es ihr recht wohl mit dieser neuen Anerkennung. Kürzlich hat ein Bundesrat das Verhältnis der Schweiz zur EU als «fast normalisiert» bezeichnet. Als «normal» betrachtet der Bundesrat offenbar eine Situation, in der die Bürger der EU-Mitgliedstaaten über ihre nationalen und EU-Parlamentarier allein die Regeln beschliessen, die dann für uns aufgrund unseres Zugangs zum Binnenmarkt ebenfalls gelten. Das ist schade. Wir Schweizerinnen und Schweizer mit unserer in Europa einmalig langen republikanischen Tradition hätten etwas Besseres verdient!
Ich bin ein Kind des Europarates. Denn 1975 wurden für mich die Menschenrechte im Rahmen dieser Organisation eine berufliche Realität. Sechs Wochen pro Jahr verbrachte ich damals im «Expertenkommittee für Menschenrechte» in Strassburg, in dem Fachleute der Regierungen aus den Hauptstädten der Mitgliedstaaten zusammenkamen. Als «kleine Schwester» aus dem heutigen Bundesamt für Justiz lernte ich viel vom lange erfahrenen Vertreter des EDA, der die Schweiz in diesem Gremium bis anhin allein vertreten hatte. Die neue Zweiervertretung war eine Folge davon, dass es Bundesrat Furgler gelungen war, die Zuständigkeit für die Bearbeitung der Beschwerdefälle im EJPD anzusiedeln.
Da ich diese Bearbeitung zu organisieren hatte, machte ich mich mit der damaligen Entscheidpraxis der Strassburger Gremien vertraut. Zu Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention, welcher unmenschliche und erniedrigende Strafen verbietet, stiess ich auf einen Fall unter dem Stichwort «Prügelstrafe» auf der Isle of Man. Gegen Grossbritannien war eine Beschwerde erhoben worden im Namen eines Jugendlichen, der diese Strafe erlitten hatte. Die Rechtsgrundlage dafür fand sich in einem auf der Isle of Man erlassenen Gesetz. Die Beschwerde richtete sich gegen Grossbritannien, denn dieser Mitgliedstaat hatte im Jahre 1953 eine Erklärung abgegeben, wonach die Konvention auch für die Bewohner der Isle of Man gelte, denn es handelte sich um Hoheitsgebiet, für dessen internationale Beziehungen Grossbritannien zuständig war. Die Beschwerde wurde später gutgeheissen und Grossbritannien musste dafür sorgen, dass auf der Isle of Man die «Prügelstrafe» abgeschafft wurde.
Auch jetzt geht es um Grossbritannien
Wo diese Isle of Man gelegen war, interessierte mich damals nicht – irgendwo im Commonwealth of Nations musste es sein. Umso erstaunter blickte ich jetzt auf einen Kartenausschnitt: Die Insel liegt zwischen England und Irland. Ihr Status ist immer noch derselbe, Nicht-Mitglied der EU, und für die Aussen- und Verteidigungspolitik ist London zuständig – eine sogenannte «Kronbesitzung». Die «Paradise-Papers» haben die fatale Rolle der Insel für Steuerhinterziehungen aller Art ans Licht gebracht. Was nun? – fragen sich aussenpolitisch interessierte Betrachter – auch in der Schweiz.
Beim Treffen der Finanzminister hat die EU angekündigt, ihre schwarze Liste von Steueroasen rasch zu vervollständigen. Dies soll nicht nur den Druck auf Gesetzesänderungen in diesen Oasen erhöhen, sondern – wie insbesondere der französische Finanzminister gefordert hat – es sollen Sanktionsmöglichkeiten geschaffen und konsequent angewendet werden. Von der EU kann eine wirksame Reaktion auf die Enthüllungen am ehesten erwartet werden, auch wenn sich unter den Mitgliedstaaten einige mit etwelcher «Schlupflöcher-Erfahrung» finden.
Interessant wird die Sache im Zusammenhang mit dem Brexit. Der Zugang Grossbritanniens als Nicht-Mitglied der EU zum Binnenmarkt kann von Bedingungen abhängig gemacht werden – der Hebel der EU gegenüber den Britten wird also länger. Da drängt sich nun ein Vergleich mit der Schweiz auf: Auch sie muss sich den EU-Regeln immer wieder anpassen, ohne selber über deren Neuausgestaltung mitzureden oder gar mitzuentscheiden.
Zwar wird die Schweiz von der OECD dafür gerühmt, dass sie heute vieles zulässt, was sie als Hüterin des Bankgeheimnisses lange verweigert hatte. Offensichtlich ist es ihr recht wohl mit dieser neuen Anerkennung. Kürzlich hat ein Bundesrat das Verhältnis der Schweiz zur EU als «fast normalisiert» bezeichnet. Als «normal» betrachtet der Bundesrat offenbar eine Situation, in der die Bürger der EU-Mitgliedstaaten über ihre nationalen und EU-Parlamentarier allein die Regeln beschliessen, die dann für uns aufgrund unseres Zugangs zum Binnenmarkt ebenfalls gelten. Das ist schade. Wir Schweizerinnen und Schweizer mit unserer in Europa einmalig langen republikanischen Tradition hätten etwas Besseres verdient!
Kolumne
Der EWR ist von gestern, nicht für morgen
von alt Nationalrat Hans-Jürg Fehr | April 2023
Vor dreissig Jahren wäre der Beitritt der Schweiz zum Europäische Wirtschaftsraum EWR eine gute Lösung gewesen. Das Stimmvolk wollte nicht. In jüngster Zeit wird er von gewissen politischen Kreisen wieder propagiert. Aber heute wäre er eine schlechte Lösung.
Kolumne
Schulterschluss zwischen Bund und Kantonen in der Europapolitik
von Thomas Moser* | April 2023
Der bilaterale Weg zwischen der Schweiz und der EU ist ein Spiel, das von den Verteidigungsreihen dominiert wird. Seit 2007 werden keine wichtigen Verträge mehr abgeschlossen. Die Verhandlungen enden torlos. Als der Bundesrat am 29. März 2023 in Aussicht stellte, die Sondierungsgespräche mit der EU abzuschliessen und bis Ende Juni ein Verhandlungsmandat zu erarbeiten, verwies er auf die Kantone. Der Dialog mit ihnen habe es ermöglicht, für die Staatsbeihilfen und Zuwanderungsfragen konkrete Lösungsansätze zu definieren.