Lesetipp
«Königsweg oder Sackgasse?»
von
Markus Mugglin
| Februar 2015
Der Titel des neu aufgelegten Standardwerks über die Schweizer Europapolitik von Dieter Freiburghaus ist zwar unverändert. Doch was vor sechs Jahren als Königsweg aussah, gleicht in seinem Urteil jetzt mehr einer Sackgasse – zumindest für den Moment.
Entschieden ist es noch nicht. Dieter Freiburghaus hält weiterhin beides für möglich: Den bilateralen Weg als Königsweg oder als Sackgasse. «Über dem künftigen Weg liegt noch dichter Nebel», schreibt er in leicht verständlicher und eingängiger Sprache über die aktuelle europapolitische Verwirrung im Lande.
Mit der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative vom 9. Februar 2014 sei aber Sand ins Getriebe geraten. Das Votum enthält für den Autor das Potenzial, dem Bilateralismus ein Ende zu bereiten.
Der emeritierte Professor für öffentliche Politiken und europäische Integration lässt dem erstmals 2009 aufgelegten «Königsweg oder Sackgasse? Schweizerische Europapolitik von 1945 bis heute» nicht nur eine Neuauflage folgen. Er hat sein Standardwerk aktualisiert. Seinem weiten Blick zurück in die Anfänge der europäischen Integration und der schweizerischen Europapolitik bis zu den vorletzten Europaabstimmungen vor sechs Jahren hat er ein 30-seitiges Kapitel hinzugefügt: «Der bilaterale Weg führt in die Sackgasse, Die Jahre 2009 bis 2014».
Freiburghaus führt die Chronik bis in die jüngste Vergangenheit nach, fasst zusammen, was die Schweiz und die EU in einzelnen Bereichen verhandelt und vereinbart haben, wie die heiklen Dossiers Steuerstreit, Steuerflucht und institutionelle Fragen das Verhältnis Schweiz – EU zusehends belasten und schliesslich der Entscheid gegen die «Masseneinwanderung» zum «Weg ins Abseits» führt.
Der Autor ist dennoch überzeugt, auch wenn er es nicht so eindeutig formuliert, dass die Schweiz alles tun wird, um den bilateralen Weg weiter beschreiten zu können. Denn sobald wirtschaftliche Argumente in den Vordergrund drängten, stimme das Volk pragmatisch – also für die Bilateralen als schweizerischer Sonderweg.
EWR-ähnlicher Bilateralismus?
Es werde aber nicht mehr der herkömmliche Bilateralismus sein. «Die Union kann nicht länger tolerieren, dass die Schweiz hochgradig an ihrem Binnenmarkt teilnimmt, ohne mindestens EWR-ähnlichen institutionellen Kontrollen unterworfen zu sein». Ein Bilateralismus neuer Qualität also, über den jetzt unter dem Titel institutionelle Fragen verhandelt wird. Folglich ein Bilateralismus mit weniger Autonomie.
Doch ein Zurück gibt es für Freiburghaus nicht. Die Schweiz hat sich nach seiner Einschätzung zu sehr ins «europäische Spinnennetz» integriert.
Die Folgerung des Europa-Experten wirkt nach der Lektüre des sorgfältig gestalteten Buches plausibel. Sie wird ja auch durch neuste Umfragen gestützt. Die Bilateralen geniessen in der Bevölkerung grossen Rückhalt. Und doch: Die Kampagne der nationalkonservativen Kräfte gegen die angeblich überschätzten Bilateralen hat erst gerade begonnen. Ob die nächste Phase schweizerischer Europapolitik nur unter dem Vorzeichen des «so weiter wie bisher» ablaufen wird, erscheint im Moment zumindest offen zu sein.
«Königsweg oder Sackgasse?» analysiert aber nicht nur die jüngste Phase schweizerischer Europapolitik. Die Neuauflage bietet weiterhin den grossen, detaillierten und erhellenden Überblick über die schweizerische Europapolitik seit 1945. Freiburghaus ordnet sie ein in die europäische Integrationsgeschichte. Eigentlich ein hochkomplexes Vorhaben. Und doch erscheint es dem Leser und der Leserin nicht so. Der Autor führt sie vorzüglich durch den Dickicht und die Launen der schweizerischen Europapolitik.
Dieter Freiburghaus, Königsweg oder Sackgasse? Schweizerische Europapolitik von 1945 bis heute, 2. Überarbeitete Auflage, Verlag Neue Zürcher Zeitung, 2015, 456 Seiten (die 1. Auflage erschien 2009)
Entschieden ist es noch nicht. Dieter Freiburghaus hält weiterhin beides für möglich: Den bilateralen Weg als Königsweg oder als Sackgasse. «Über dem künftigen Weg liegt noch dichter Nebel», schreibt er in leicht verständlicher und eingängiger Sprache über die aktuelle europapolitische Verwirrung im Lande.
Mit der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative vom 9. Februar 2014 sei aber Sand ins Getriebe geraten. Das Votum enthält für den Autor das Potenzial, dem Bilateralismus ein Ende zu bereiten.
Der emeritierte Professor für öffentliche Politiken und europäische Integration lässt dem erstmals 2009 aufgelegten «Königsweg oder Sackgasse? Schweizerische Europapolitik von 1945 bis heute» nicht nur eine Neuauflage folgen. Er hat sein Standardwerk aktualisiert. Seinem weiten Blick zurück in die Anfänge der europäischen Integration und der schweizerischen Europapolitik bis zu den vorletzten Europaabstimmungen vor sechs Jahren hat er ein 30-seitiges Kapitel hinzugefügt: «Der bilaterale Weg führt in die Sackgasse, Die Jahre 2009 bis 2014».
Freiburghaus führt die Chronik bis in die jüngste Vergangenheit nach, fasst zusammen, was die Schweiz und die EU in einzelnen Bereichen verhandelt und vereinbart haben, wie die heiklen Dossiers Steuerstreit, Steuerflucht und institutionelle Fragen das Verhältnis Schweiz – EU zusehends belasten und schliesslich der Entscheid gegen die «Masseneinwanderung» zum «Weg ins Abseits» führt.
Der Autor ist dennoch überzeugt, auch wenn er es nicht so eindeutig formuliert, dass die Schweiz alles tun wird, um den bilateralen Weg weiter beschreiten zu können. Denn sobald wirtschaftliche Argumente in den Vordergrund drängten, stimme das Volk pragmatisch – also für die Bilateralen als schweizerischer Sonderweg.
EWR-ähnlicher Bilateralismus?
Es werde aber nicht mehr der herkömmliche Bilateralismus sein. «Die Union kann nicht länger tolerieren, dass die Schweiz hochgradig an ihrem Binnenmarkt teilnimmt, ohne mindestens EWR-ähnlichen institutionellen Kontrollen unterworfen zu sein». Ein Bilateralismus neuer Qualität also, über den jetzt unter dem Titel institutionelle Fragen verhandelt wird. Folglich ein Bilateralismus mit weniger Autonomie.
Doch ein Zurück gibt es für Freiburghaus nicht. Die Schweiz hat sich nach seiner Einschätzung zu sehr ins «europäische Spinnennetz» integriert.
Die Folgerung des Europa-Experten wirkt nach der Lektüre des sorgfältig gestalteten Buches plausibel. Sie wird ja auch durch neuste Umfragen gestützt. Die Bilateralen geniessen in der Bevölkerung grossen Rückhalt. Und doch: Die Kampagne der nationalkonservativen Kräfte gegen die angeblich überschätzten Bilateralen hat erst gerade begonnen. Ob die nächste Phase schweizerischer Europapolitik nur unter dem Vorzeichen des «so weiter wie bisher» ablaufen wird, erscheint im Moment zumindest offen zu sein.
«Königsweg oder Sackgasse?» analysiert aber nicht nur die jüngste Phase schweizerischer Europapolitik. Die Neuauflage bietet weiterhin den grossen, detaillierten und erhellenden Überblick über die schweizerische Europapolitik seit 1945. Freiburghaus ordnet sie ein in die europäische Integrationsgeschichte. Eigentlich ein hochkomplexes Vorhaben. Und doch erscheint es dem Leser und der Leserin nicht so. Der Autor führt sie vorzüglich durch den Dickicht und die Launen der schweizerischen Europapolitik.
Dieter Freiburghaus, Königsweg oder Sackgasse? Schweizerische Europapolitik von 1945 bis heute, 2. Überarbeitete Auflage, Verlag Neue Zürcher Zeitung, 2015, 456 Seiten (die 1. Auflage erschien 2009)
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