Wochenrückblick

Schweiz im Sicherheitsrat / KW 14-2024

von Johann Aeschlimann | April 2024
Gaza: In dringlicher Sitzung hat der Rat sich mit dem gezielten israelischen Angriff auf einen Hilfskonvoi befasst, in dessen Folge die Hilfslieferungen an die abgeschnürte Bevölkerung vorübergehend eingestellt wurden. Der Vertreter des UNO-Nothilfebüros sagte: “Es gibt keinen Schutz der Zivilbevölkerung in Gaza”. Zwar erreichten Hilfslieferungen täglich eine halbe Million Menschen, aber nur 4 Prozent davon gelange nach Gaza City und in Gebiete nördlich davon, wo Israel der UNO-Hilfsorganisation UNRWA den Zutritt verwehrt. UNRWA ist gemäss UNO-Angaben die einzige Organisation, die imstande ist, die logistischen Anforderungen zu meistern. Israel nannte den Beschuss des Konvois einen “tragischen Fehler”. Schuld sei der “zynische modus operandi von Hamas, zivile Fahrzeuge und zivile Infrastruktur auszunutzen”. Israel befinde sich in einem “Verteidigungskrieg”. Die USA stimmten insofern zu, als sie darauf hinwiesen, dass die Aktionen der Hamas-Streitkräfte humanitäres Personal gefährden: “Untertunnelung und Waffenlagerung in Spitälern sind eine Verletzung des Kriegsrechts”. Aber alle Ratsmitglieder kritisierten die israelische Kriegführung und forderten mehr Rücksicht auf die Zivilbevölkerung, die systematisch ausgehungert wird. Die USA wiesen darauf hin, dass Slowenien, das in den Debatten durch prägnante Wortmeldungen hervorsticht, sagte, wenn der Rat in Gaza zusammengetreten wäre, hätten alle Mitglieder in den vergangenen Monaten auf Mahlzeiten verzichten müssen, wäre die Hälfte auf humanitäre Hilfe angewiesen und ein Drittel Eltern von unterernährten Kindern. “Nichts in diesem Krieg geschieht durch Zufall”, sagte der slowenische Vertreter. “Diese Kriegführung ist gewollt”. Viele Ratsmitglieder wiesen auf die Wirkungslosigkeit der jüngsten Gaza-Resolution hin, die einen Waffenstillstand während des Ramadans (noch bis 10. April) fordert. Die Kämpfe zwischen der israelischen Armee und palästinensischen Verbänden gehen weiter. Die Schweiz forderte von Israel, dem Beschluss des Internationalen Gerichtshofs Folge zu leisten, der zur Zusammenarbeit mit den internationalen Organisationen und zur Sicherstellung der Versorgung der Zivilbevölkerung verpflichtet. Sie verlangte, wegen den “katastrophalen humanitären Folgen” auf den angedrohten Angriff auf die Grenzstadt Rafah zu verzichten.

Israel-Iran-Syrien: Die Ausweitung des Gaza-Kriegs auf die Region stand im Mittelpunkt einer dringlichen Ratssitzung, die nach der Bombardierung der iranischen Vertretung in Damaskus einberufen wurde. Als Urheber wird Israel genannt, das sich jedoch dazu nicht äussert und an der Ratssitzung nicht teilgenommen hat. Iran sagte, der Raketenangriff sei von den durch Israel annektierten Golanhöhen gekommen. Syrien berichtete von wiederholten israelischen Luftangriffen. In der Vergangenheit haben israelische Offizielle mehrfach zugegeben, Ziele in Syrien anzugreifen. Damit soll die Präsenz Irans geschwächt werden, das bewaffnete Gruppen in Syrien und in der Region unterstützt. Der Vertreter Grossbritanniens erwähnte Hisbollah im Libanon, den Palestinian Islamic Jihad und die Huthi im Jemen, die seit Beginn des Gaza-Kriegs die Schifffahrt im Roten Meer attackieren. Die meisten Ratsmitglieder – darunter die Schweiz – verurteilten den Angriff als Verletzung der UNO-Charta und der völkerrechtlichen Verpflichtungen zum Schutz der diplomatischen Einrichtungen. Die USA, Israels solidester Verbündeter, versicherten, nichts mit dem Angriff zu tun und nicht im Voraus davon gewusst zu haben. Die Schweiz erklärte, der Vorfall enthalte das Potential einer “grösseren Eskalation” in der Region, die von allen Kontrahenten – auch den “Milizen” – gestoppt werden müsse: “Alle Kommunikationskanäle müssen genutzt werden, um jegliche Missverständnisse zu vermeiden. Ein einziger Fehler im Kalkül kann verheerende Konsequenzen haben.”

Myanmar: Drei Jahre nach dem Militärpusch haben die Kämpfe zwischen der Armee und der “Arakan-Armee” ein “noch nicht gesehenes Niveau der Gewalt” erreicht, sind 2,8 Millionen Menschen vertrieben und ist Myanmar zu einem “globalen Epizentrum der Methamphetamin- und Opiumproduktion” geworden. Das ging aus einer der raren offenen Sitzungen zur Lage dort hervor. Während Russland versicherte, Myanmar stelle keine Bedrohung von “Frieden und Sicherheit in der Welt” dar und gehöre deshalb nicht auf die Tagesordnung, drängten zahlreiche Ratsmitglieder auf eine aktivere diplomatische Rolle der UNO, insbesondere, um die Bemühungen der Regionalorganisation ASEAN (Association of Southeast Asian Nations) zu unterstützen. Der Posten eines UNO-Sondergesandten ist seit zehn Monaten, derjenige eines resident coordinator, der die UNO-Aktivitäten im Land leitet, seit drei Jahren verwaist. Ein UNO-Vertreter kündigte dem Rat eine Ernennung “in den kommenden Tagen” an. Die Schweiz erinnerte an die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs bei der Ahndung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und diejenige des vom Menschenrechtsrat in Genf eingesetzten Untersuchungsgremiums bei deren Ermittlung.

Kinder: Seit 2005 ist die UNO von einer Sicherheitsratsresolution mandatiert, den Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten (children in armed conflict CAC) zu überwachen. Dies in sechs Bereichen “Schwerer Vergehen”. Einer davon, die Verweigerung des Zugangs zu humanitärer Versorgung, war Gegenstand einer von Malta angesetzten Debatte. Die zuständige UNO-Sondergesandte erklärte, der noch nicht fertiggestellte Bericht für das Jahr 2023 werde eine “schockierende Zunahme” von Vorfällen enthalten. Der Vertreter des Kinderhilfswerks UNICEF nannte Gaza, wo “Dutzende” von Kindern an Hunger oder Wassermangel gestorben seien, und Sudan, wo der Zugang zu Hilfeleistungen von den Kriegsparteien offen verweigert werde, als besonders besorgniserregende Schauplätze. Die Schweiz fügte Jemen, Afghanistan, Myanmar und Haiti zu dieser Liste.  Sie forderte die Einhaltung des humanitären Völkerrechts, die ausreichende Finanzierung der Hilfsprogramme und bei der Umsetzung von UNO-Sanktionen die Berücksichtigung von  “humanitären Ausnahmen”. Wie zahlreiche andere Mitglieder nahm sie die Debatte zum Anlass, um die Bombardierung eines Gaza-Hilfskonvois durch das israelische Militär als “unakzeptabel” zu verurteilen, sowie eine genaue Untersuchung und Massnahmen gegen eine Wiederholung zu verlangen.

Cybersicherheit: Südkorea hat eine informelle Debatte über Sicherheitsgefährdungen im Internet (cyber security) organisiert. Thema waren das Finanzwesen, die Lahmlegung kritischer Infrastrukturen oder grossangelegte Erpressungen.  “Wir sind nicht machtlos”, erklärte die Schweiz. Sie erinnerte an bereits bestehende Verhaltensregeln und Empfehlungen, so unter anderem das Geneva Manual der in Genf domizilierten DiploFoundation. Wiewohl die Hauptverantwortung für die Umsetzung bei den Staaten liege, komme der Privatwirtschaft eine “wichtige Rolle bei der Vorbeugung” zu.

 
Wochenrückblick

Schweiz im Sicherheitsrat KW 16/2024

von jaeschlimann | April 2024
Themen der Woche: Palästina, Israel-Gaza-Iran, UNRWA, Jemen, Ukraine, Libyen, Westsahara, Sudan, OSZE, Jugend