Wochenrückblick

Schweiz im Sicherheitsrat / KW 39

von Johann Aeschlimann | September 2023
Syrien: Die Wirtschaft ist im «freien Fall», politische Kompromisse zur Lancierung einer politischen Lösung des zwölfjährigen Konflikts um das Assad-Regime nötiger denn je, aber ausser einer Verschlechterung der Lebenslage für den Grossteil der Bevölkerung tut sich nichts. Dies der Befund des UNO-Sondergesandten. Positiv: Die UNO-Hilfslieferungen über den türkisch-syrischen Grenzübergang Bab al-Hawa sind wieder angelaufen, der Posten soll laut russischen Angaben bis März 1924 offen bleiben (ein russisches Veto hatte im Juni einen entsprechenden Ratsbeschluss torpediert, seither ist die Öffnung von der Regierung in Damaskus abhängig). Aber die Offenhaltung von zwei weiteren Übergängen ist nur bis Mitte November garantiert. Zahlreiche Ratsmitglieder riefen dazu auf, sie permanent zu öffnen – so auch die Schweiz und Brasilien - gemeinsam federführend im Dossier «humanitärer Zugang».  Sie betonten die Unverzichtbarkeit der UNO-Lieferungen und forderten «Respekt der Prinzipien der Humanität, Unparteilichkeit, Neutralität und Unabhängigkeit» der Operationen.  Von einer neuen Ratsresolution, welche die Grenzöffnung wie gehabt verbindlich festschreibt und von den penholders auszuhandeln wäre, sprach laut einsehbaren Quellen niemand.

Nord Stream: Auf Antrag Russlands hat sich der Rat mit dem Attentat auf die deutsch-russische Gasleitung «Nord Stream 2» vor Jahresfrist befasst. Als Experten traten ein amerikanischer Kabelfernsehtalkshow-host und ein deutscher Autor (Buchtitel: «Ufos, Lügen und der Kalte Krieg”) auf. Der eine verwarf eine «westliche Verschwörungstheorie», die Russland als Urheber betrachtet, der andere schob die Schuld auf die USA. Die meisten Staaten – auch die Schweiz – sprachen den laufenden offiziellen Untersuchungen in Schweden, Dänemark und Deutschland ihr Vertrauen aus.

Mittelmeerflüchtlinge/Libyen: Eine Ratsresolution, welche das Aufbringen von Flüchtlingsbooten vor der libyschen Küste autorisiert, läuft aus und muss verlängert werden. Im Vorfeld debattierte der Rat die desaströse Lage der Bootsflüchtlinge, die Europa von Libyen und Tunesien aus über das Mittelmeer zu erreichen suchen. Das UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge teilte mit, zwischen Januar und August hätten über 100 000 Personen versucht, Europa von Tunesien aus zu erreichen, was einem Anstieg um 260 Prozent entspreche. In Italien, Griechenland, Spanien, Zypern und Malta seien zwischen Januar und 24. September 186  000, eingetroffen, davon 130 000 in Italien, ein Anstieg von 83 Prozent. Die Ratsdebatte troff von Sorge, Mitgefühl und Betroffenheit. Die Schweiz erklärte, dass sie an Verbesserungen des Schutzes und der Integration von Flüchtlingen «in der ersten Gastregion und entlang der Migrationsrouten» arbeite. Sie warb für das Global Refugee Forum im Dezember in Genf. 2018 hatte die Schweiz sich dem in der UNO ausgehandelten  Global Compact for Safe, Orderly and Regular Migration verweigert, der die internationalen Verpflichtungen im Bereich der Migration zusammenfasst. Nun erklärte sie: «Migrationsströme sind ein gemeinsames Anliegen für Ursprungs-, Transit- und Zielländer»

Kongo DRC: In der Demokratischen Republik Kongo (DRC) sind im Dezember Wahlen angekündigt. Die Vorbereitungen laufen. Gleichzeitig fordert die Regierung eine Beschleunigung des Abzugs der UNO-Blauhelmtruppe MONUSCO (für einmal ist das Kürzel französisch: Mission de l’Organisation des Nations Unies pour la stabilisation en RD Congo), der nun Ende Jahr beginnen soll. Im Rahmen der Ostafrikanischen Gemeinschaft (East African Community) sind ein Waffenstillstand und ein Friedensprozess für die seit den 90er Jahren des vorhergehenden Jahrhunderts Kongo-Kriege vereinbart. Aber die UNO-Sondergesandte warnte vor anhaltenden Sicherheitsproblemen im Osten des Landes, namentlich mit der von Rwanda gestützten Organisation M23. In der Debatte lieferten sich die Vertreter von Kongo DRC und Rwanda einen Schlagabtausch, der nicht viel Versöhnungsbereitschaft erkennen liess. Mehrere Ratsmitglieder, darunter die Schweiz, warnten vor einem überstürzten Abzug der 16000 Soldaten starken MONUSCO.

Afghanistan: Die Schlinge um die Frauen in Afghanistan zieht sich weiter zu. Gemäss der UNO-Sondervertreterin haben die herrschenden Taliban  über 50 Dekrete erlassen, die darauf ausgerichtet, sind «Frauen aus dem öffentlichen Leben und dem Erziehungswesen zu eliminieren». Die Durchsetzung werde strikter, auch durch «männliche Familienmitglieder». Im Rat verurteilen alle Mitglieder diese Praktiken. Die politische Fragestellung betrifft den Umgang mit dem de-facto-Regime: Anerkennung? Isolierung? Oder Offenhaltung der Kommunikationskanäle und «Dialog», wo möglich? Alle Ratsmitglieder befürworten anhaltenden Druck auf Kabul. Japan warnte davor, die Taliban ähnlich wie in den 90er Jahre zu isolieren, als das Land in der Folge zu einem «Brandherd des Terrorismus» geworden sei.  Eine als Expertin aufgebotene Völkerrechtsexpertin empfiehlt, bestehende Anti-Apartheid-Regeln auf Frauendiskriminierung auszuweiten und den Begriff «gender» in die Apartheid-Paragraphen des Römer Status aufzunehmen, das dem Internationalen Strafgerichtshof zugrunde liegt. Die Schweiz forderte, «alle rechtlichen Pfade und Instrumente» auszuloten, jusqu’à la Cour Pénale Internationale (CPI), um die Verantwortlichen in Afghanistan zur Rechenschaft zu ziehen, und sie erinnerte daran, dass Afghanistan auf selbstbestimmte Frauen angewiesen sei, wenn es sich von den Folgen von drei Jahrzehnten Krieg erholen wolle . Interessant: Mehrere Ratsmitglieder, darunter die Schweiz, anerkannten, dass die volkswirtschaftliche Lage sich unter den Taliban verbessere. Im Anschluss an die Sitzung traten die 11 Ratsmitglieder, die sich gemeinsam zur Durchsetzung der Resolution "Frauen, Frieden, Sicherheit" verschrieben haben (darunter die Schweiz) vor das UNO-Mikrophon.

Israel-Palästina: In der monatlichen Nahostdebatte wurden die gewohnten Argumente rezitiert. Für einmal schenken wir sie uns und beschränken die Berichterstattung auf die vom UNO-Sonderkoordinator vorgelegten Zahlen für die Periode von Mitte Juni bis Mitte September: Israelische Pläne für 10000 neue – illegale – Wohneinheiten in den besetzten Gebieten, davon 3580 in Ostjerusalem. 238 palästinensische Wohneinheiten wegen fehlenden israelischen Baugenehmigungen («für Palästinenser nahezu unmöglich zu erhalten») zerstört, davon 32, die mit internationalen Hilfsgeldern errichtet wurden. 68 Palästinenser, davon 18 Kinder, von israelischen Sicherheitskräften getötet. 10 Israeli, davon 2 Kinder, in palästinensischen Attacken getötet.

Schweizer Beiträge:

 

 
Wochenrückblick

Schweiz im Sicherheitsrat KW 16/2024

von jaeschlimann | April 2024
Themen der Woche: Palästina, Israel-Gaza-Iran, UNRWA, Jemen, Ukraine, Libyen, Westsahara, Sudan, OSZE, Jugend