Wochenrückblick

Schweiz im Sicherheitsrat / KW 48

von Johann Aeschlimann | Dezember 2023
Gaza: Am Ende der von Ägypten, Qatar und den USA vermittelten Waffenruhe zwischen Israel und Hamas hat der Rat sich erneut mit der verheerenden Lage im Gazastreifen befasst. Ausser den 15 Ratsmitgliedern beteiligten sich die Betroffenen – Palästina und Israel – sowie arabische und muslimische Staaten (Türkei, Indonesien, Malaysia) und Slowenien an der Debatte.  Der UNO-Generalsekretär sagte, 80 Prozent der dortigen Bevölkerung seien aus ihren Wohnstätten vertrieben, und 1 Million Personen in UNO-Notunterkünften untergebracht. Er forderte einen dauerhaften Waffenstillstand - vergeblich, wie sich am nächsten Tag herausstellte. Die meisten  Ratsmitglieder unterstützten diese Forderung. Israel erklärte, ein Waffenstillstand halte die Hamas länger am Leben. Die USA sagten, Hamas dürfe am Ende des Kriegs die Kontrolle über Gaza nicht mehr ausüben. Zahlreiche Ratsmitglieder wiesen auf die gespannte Lage im besetzten Westjordanland hin, wo israelische Siedler palästinensische Bewohner mit Gewalt vom Land drängen. Der UNO-Sonderbeauftragte sagte, die Gewalt von Siedlern werde “auf hohem Niveau” fortgesetzt, und die israelische Armee führe “die intensivsten Militäroperationen seit der zweiten Intifada” aus. Die meisten Ratsmitglieder unterstützten die vor dreissig Jahren vereinbarte, aber nie realisierte “Zweistaatenlösung”. Vorschläge, wie sie zu bewerkstelligen wäre, blieben rar. Die Türkei schlägt einen “Garantiemechanismus” vor. Russland brachte eine Aufwertung des seit 1948 bestehenden Waffenstillstandsüberwachungsorgans UNTSO ins Spiel. Ägypten wandte sich scharf gegen alle Pläne, palästinensiche Bevölkerung aus Gaza zu vertreiben. Jordanien forderte ein Ende solcher Bestrebungen Israels im besetzten Westjordanland: „Was unter den Augen der Welt in Gaza passiert, geschieht auch an der Westbank“. Die Schweiz hielt ihren Ball flach. Sie anerkannte „Israels Recht, seine Verteidigung und seine Sicherheit wahrzunehmen” und erinnerte gleichzeitig “alle Konfliktparteien” daran, dass “die Beachtung des humanitären Völkerrechts Pflicht ist”. Im Westjordanland habe Israels Armee die Pflicht, beim Einsatz von Gewalt “das Kriterium der Proportionalität” zu beachten. Sie plädierte für eine “Verlängerung der humanitären Feuerpause” und “humanitären Zugang” an allen Grenzübergängen.

Syrien: Die Furcht vor der Auswucherung des Gaza-Kriegs dominierte die Debatte über die Lage in Syrien. Die UNO-Sondergesandte berichtete dem Rat über “ein Dutzend verschiedene Pulverfässer”, die dort in Brand gesteckt werden könnten. Sie erwähnte unter anderem israelische Angriffe auf den Flughafen von Damaskus, Raketenangriffe aus syrischem Gebiet auf Israel, Artilleriegefechte auf dem Golan, Angriffe auf US-Truppen in Nordost-Syrien und amerikanische Vergeltungsschläge und die Aktivitäten des “Islamischen Staats”. Die UNO-Nothilfeorganisation gab bekannt, dass 5,7 Millionen Personen in Syrien auf “kritisch notwendige” Unterstützung angewiesen sei, um durch den Winter zu kommen und der humanitäre Hilfsplan (Humanitarian Response Plan) für Syrien nur zu einem Drittel finanziert sei. Die Schweiz und Brasilien, Co-Federführer im “humanitären Dossier”, äusserten in einer gemeinsamen Erklärung den Wunsch nach “längerer und planbarer Dauer der Zugangsberechtigungen” für humanitäre Hilfe. Diese sind nach dem Scheitern einer Sicherheitsratsresolution im vergangenen Sommer von der Willkür der syrischen Regierung abhängig. Die Schweiz bedauerte, dass die Bemühungen um eine politische Lösung des inner-syrischen Konflikts “am toten Punkt angelangt sind”.  Sie unterstrich die Notwendigkeit, die Kriegsverbrechen der vergangenen Jahrzehnte aufzuarbeiten (on ne peut envisage une paix durable sans justice) und unterstützte den Einbezug von zivilgesellschaftlichen Organisationen in deren Dokumentation.

Nordkorea: Der erfolgreiche Abschuss des militärischen Aufklärungssatelliten “Malligyong-1” hat den Rat zu einer weiteren Debatte über die anhaltende Verletzung von Sicherheitsratsresolutionen durch die Nuklear- und Raketenrüstung in Nordkorea bewegt. Der Befund ist wie gehabt: Die Regierung hält an ihren Programmen fest, die Bevölkerung leidet Hunger. Dem zuständigen UNO-Beamten zufolge verschlechtert sich die humanitäre Lage. Die Schweiz – federführend im Ausschuss, der die Durchsetzung der Nordkorea-Sanktionen überwacht – zeigte sich “sehr beunruhigt”. Sie appellierte an alle Staaten, die Sanktionen einzuhalten (Russland wird Rüstungskooperation mit Nordkorea vorgeworfen) und forderte “schnellen, sicheren und ungehinderten Zugang” von humanitärer Hilfe. Hinter verschlossenen Türen erstattete die Schweiz in dieser Woche Bericht über die Umsetzung des Sanktionsregimes, das jegliche Zusammenarbeit mit Nordkorea in den Bereichen Raumfahrt und Rüstung untersagt.

Somalia: Das Sanktionsregime gegenüber Somalia ist einer neuen Realität angepasst. Weil sie die Kontrolle über ihre Waffen- und Munitionsarsenale gefestigt hat, hat der Rat das Waffenembargogegen die somalische Regierung einstimmig aufgehoben. Damit sollen ihre Möglichkeiten verbessert werden, den Al-Shabaab-Rebellen Meister zu werden. Die Sanktionen gegen Al-Shabaab (unter anderem Verbot von Kohleexporten, Waffenimportverbot)  werden dagegen um ein Jahr verlängert. Bei dieser Abstimmung enthielt sich Frankreich der Stimme, weil der Konflikt zwischen der ehemaligen Kolonie Djibouti und Eritrea, einem Paten von Al-Shabaab, nicht angesprochen wird. Gemäss Informationen der gut unterrichteten (von der Schweiz mit finanzierten) Plattform securitycouncilreport.com hat die Schweiz in den Verhandlungen stärkere Bestimmungen zu den Rekursmöglichkeiten von sanktionierten Personen (due process) gefordert und durchgesetzt.

Sudan: Ein weiteres afrikanisches Land hat den sofortigen Abzug der politischen UNO-Mission verlangt, und der Rat ist der Forderung gefolgt. Die UN Integral Transition Assistance Mission (UNITAMS), die seit 2020 den Übergang von der Militär- zu einer zivilen Regierung unterstützen soll, mit 14 Stimmen und einer Enthaltung unverzüglich terminiert. .  Bereits im vergangenen Sommer hatte Sudan die Absetzung des UNO-Sondergesandten verlangt und diesen aus dem Land gewiesen. Russland enthielt sich der Stimme, weil die Resolution periodische Berichterstattungen des UNO-Generalsekretärs über die Lage in Sudan verlangtIm April dieses Jahres haben zwei rivalisierende Generäle einen neuen Bürgerkrieg entfacht, der immer weitere Kreise zieht und in mehreren Provinzen alte Konflikte wieder entfacht. Laut UNO-Angaben sind rund 10 000 Zivilisten ums Leben gekommen. 25 Millionen Menschen sind auf Hilfe angewiesen. Die Schweiz hat den Abzug bedauert und zur Einstellung der Kämpfe aufgefordert. In Sudan bestehe die Gefahr eines «Genozids».

Schweizer Beiträge:
Wochenrückblick

Schweiz im Sicherheitsrat KW 16/2024

von jaeschlimann | April 2024
Themen der Woche: Palästina, Israel-Gaza-Iran, UNRWA, Jemen, Ukraine, Libyen, Westsahara, Sudan, OSZE, Jugend