Wochenrückblick

Schweiz im Sicherheitsrat / KW7-2024

von Johann Aeschlimann | Februar 2024
Klima, Krieg und Hunger: Während zwei Tagen haben die Vertreter von 88 Staaten den Zusammenhang zwischen Klimawandel, Konflikten und Hunger debattiert. Dass er besteht, wurde von keiner Seite bezweifelt. Die UNO-Vertreter, beginnend beim Generalsekretär, lieferten einschlägige Daten. Über 330 Millionen Menschen leben in “akuter Nahrungsmittelunsicherheit”, 258 Millionen davon “hochgradig”. Zwei Drittel dieser Fälle werden auf Klimaveränderungen und Konflikte oder deren Zusammenwirken zurückgeführt: In den 14 am stärksten vom Klimawandel betroffenen Länder sind bewaffnete Konflikte im Gange. Ob dieser Zusammenhang ein Thema für den Sicherheitsrat – das Organ für die Wahrung von “Frieden und Sicherheit” – sein soll, wird bestritten. Brasilien und Russland stellten sich klar dagegen, China plädierte für einen fallweisen Ansatz (“einige Konflikte haben keinen direkten Zusammenhang zum Klimawandel”). In der Debatte unterstrichen viele Redner den Handlungsbedarf zur Bewältigung der Klima-Krise und hoben nationale Projekte hervor. Das Stichwort heisst „nachhaltige Entwicklung“. Der UNO-Generalsekretär forderte jährlich 500 Milliarden Dollar, um die 17 Ziele der 2030 Agenda (Nr. 2: “Kein Hunger”) bis 2030 zu erreichen. Der Sekretär der UNO-Klimakonvention erklärte, um die Anpassung der Entwicklungsländer an den Klimawandel zu erreichen, seien jährlich 2,4 Billionen Dollar nötig – eine Verzehnfachung der heutigen Finanzflüsse. Über Aussprachen hinaus hat der Rat sich bisher nicht auf umfassende Entscheide zum Thema „Klima und Sicherheit“ geeinigt. Eine Ratsresolution war 2019 am russischen Veto gescheitert. Die Schweiz, mit Mosambik Ko-Vorsitzende der Expertengruppe “Klima und Sicherheit” verwies auf die Einführung von Klima-Mandaten in einzelnen UNO-Missionen. Sie forderte, der Rat solle sich einen “strategischen Rahmen im Hinblick auf kohärentes und verantwortliches Handeln” geben. Die Werkzeuge sind vorhanden, erklärte die Schweizer Vertreterin. Nun braucht es noch den politischen Willen, sie zu ergreifen. Im Anschluss an die Debatte traten Frankreich, Guyana, Japan, Malta, Mosambik, Südkorea, Slowenien, die Schweiz, USA und Grossbritannien mit einer gemeinsamen Erklärung vor das Pressemikrophon.

Ukraine: Russland hat den Jahrestag der Unterzeichnung des Minsk-Abkommens zum Anlass für eine weitere Ukraine-Debatte genommen. Am 12. Februar 2015 hatten Russland, die Ukraine und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Minsk ein Abkommen zur Beilegung des Konflikts um ukrainische Staatsgebiete (Donbas, Krim) unterzeichnet. Das Abkommen wurde wenige Tage später vom Sicherheitsrat in einer Resolution formell unterstützt. Der russische Vertreter beschuldigte die Ukraine, das Minsk-Abkommen sabotiert zu haben, weil die Regierung in Kiew sich weigerte, mit Donbas-Vertretern direkt zu verhandeln. Ausser China und den Afrikanern rieben alle anderen Ratsmitglieder Russland unter die Nase, dass die einseitige Anerkennung der Unabhängigkeit ukrainischer Gebiete und der militärische Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2023 (auch ein Februar-Jahrestag) die Umsetzung von „Minsk“ zunichte gemacht hat. Die Schweiz schlug sich deutlich für die OSZE in die Bresche: Nous réitérons que les organisations internationales, y compris l'OSCE, peuvent jouer un rôle important dans la désescalade de la situation actuelle ainsi que dans la résolution pacifique du conflit.

 Islamischer Staat/Da’esh: Alle zwei Jahre berichtet das UNO-Sekretariat über die Bedrohung von „Frieden und Sicherheit“ durch die weltweit agierenden Gruppierungen des „Islamischen Staats in Irak und der Levante“, auch Da’esh genannt. Die zuständigen UNO-Beamten und Interpol zeichneten ein durchzogenes Lagebild: Auf der einen Seite sind die Handlungsradien von Da’esh eingeschränkt, insbesondere auch durch die Austrocknung der Finanzmittel, auf der anderen steigen Einfluss und Bedrohungspotential in bestimmten Regionen. Im Vordergrund stehen die Sahelzone und das Gebiet am Folg von Guinea in Afrika. Von Mali bis Nigeria könne eine „riesige Zone der Unstabilität“ geschaffen werden. Für die Schweiz ist dies insofern von Belang, als sie im Rat zusammen mit Sierra Leone penholder zur Mandatierung des UNO-Büros für Westafrika ist. Zahlreiche Ratsmitglieder, darunter die Schweiz, unterstrichen, dass militärisches Vorgehen allein die durch Da’esh gestellten Probleme nicht löst. Die Schweiz forderte „holistische“ Ansätze und pochte auf Einhaltung des Völkerrechts und die strafrechtliche Aburteilung von Verbrechen im Kampf gegen Da’esh. Eine Ursache des islamistischen Terrorismus sei das Misstrauen im Volk gegen Polizei und Armee. Deshalb müssten die betroffenen Staaten dieses Vertrauen aufbauen. Mehrere Staaten – nicht die Schweiz – wiesen auf den Zusammenhang zwischen den Gräueln von Gaza mit einer Erstarkung von Da’esh hin. Slowenien erklärte, die Islamisten benutzten diese, um „religiöse Intoleranz“ anzufachen und „Einzeltäter“ weltweit zu Attacken zu mobilisieren.

Jemen: Die regionalen Aus- und Rückwirkungen des Gaza-Kriegs beherrschten eine Aussprache über die Lage im Jemen – einem der am stärksten auf humanitäre Hilfe angewiesenen Länder der Welt. Fast 18 Millionen Personen sind dort von “schwerwiegender Nahrungsmittelunsicherheit” bedroht. Das Land befindet sich seit Jahren in einem Bürgerkrieg, der durch einen labilen Waffenstillstand entschärft ist. Bemühungen um eine dauerhaftere Befriedung sind durch den Gaza-Krieg gefährdet. Die von Iran gesponsorten Huthi-Rebellen deklarieren ihre Angriffe auf die Schifffahrt im Roten Meer als Unterstützung des palästinensischen Widerstands gegen Israel, die USA und Grossbritannien ihre Vergeltungsschläge als “Selbstverteidigung”. In der Debatte anerkannten alle Seiten die wichtige Rolle des UNO-Vertreters bei der Aufrechterhaltung der inner-jemenitischen Bemühungen um einen Frieden. Die Schweiz rief alle Beteiligten zu “Vorsicht und Zurückhaltung” und zum Respekt vor dem Völkerrecht auf, und sie forderte uneingeschränkten Zugang humanitärer Hilfsorganisationen zu den Bedürftigen “ungeachtet der Nationalität” der Helfer.

Libyen: Eigentlich sollen in Libyen dieses Jahr Wahlen stattfinden. Aber die Vorbereitungen sind durch politische Rivalitäten blockiert, und ein nationales Versöhunungsgesetz kommt nicht vom Fleck. Die Verantwortlichen in Schlüsselinstitutionen zeigten keine Bereitschaft, vorwärtszumachen, teilte der Chef der UNO-Mission (UN Support Mission in Libya UNISMIL) dem Rat mit: “Patt auf der politischen Schiene”. Mehrere Mitglieder zeigten sich besorgt. Russland und China rieten, den Libyern Zeit zu lassen. Die 3 afrikanischen Mitglieder und Guyana unterstrichen die Rolle der Afrikanischen Union im Versöhnungsprozess. Die USA warnten vor den weiterhin straflosen Aktivitäten bewaffneter Gruppen. Die Schweiz empfahl stärkere Verzahnung des politischen Prozesses mit der Versöhnung zwischen den Bürgerkriegsparteien. Neben anderen, wies sie auf die prekäre Lage der Migranten hin, insbesondere der Jugendlichen (“Kinder”), die “willkürlich in offiziellen und inoffiziellen Lagern festgehalten werden”.

Syrien: Eine beruhigende Nachricht für die Schweiz, die im Rat das Dossier “humanitärer Zugang zu Nordsyrien” betreut. Syrien hat die einseitige Öffnung der beiden Grenzübergänge Bab al-Salam und Al-Ra’i bis 13. Mai verlängert. Der wichtigste von drei für humanitäre Hilfslieferungen benutzten Übergängen, Bab al-Hawa, ist bis 13. Juli offen.

Gaza: Algerien hat einen Resolutionsentwurf vorbereitet, der hinter geschlossenen Türen beraten wurde. Falls der draft die Forderung nach einem Waffenstillstand enthält, gilt das Veto der USA als sicher.
Wochenrückblick

Schweiz im Sicherheitsrat KW 16/2024

von jaeschlimann | April 2024
Themen der Woche: Palästina, Israel-Gaza-Iran, UNRWA, Jemen, Ukraine, Libyen, Westsahara, Sudan, OSZE, Jugend