Kolumne

Schweiz im UNO-Sicherheitsrat: Chancen und Probleme

von Fabien Merz* | Mai 2022
Zur Vorbereitung der Schweiz auf ihren Sitz im UNO-Sicherheitsrat gehört es, von den Erfahrungen anderer kleinerer gewählter Mitgliedstaaten zu lernen, wie beispielsweise von Schweden, Norwegen oder Irland.[1]

Eine grössere Überraschung ausgenommen, wird die Schweiz im Juni dieses Jahres von der UNO-Generalversammlung für die Periode von 2023 bis 2024 als nichtständiges Mitglied in den UNO-Sicherheitsrat gewählt. Die Schweiz würde somit zum ersten Mal in ihrer Geschichte Einzug in dasjenige UNO-Hauptorgan halten, welches laut der Charta der Organisation die Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit innehat.

Aufgrund verschiedener Faktoren kann es gerade für kleinere, gewählte Mitglieder besonders schwer sein, sich im Sicherheitsrat (SR) effizient einzubringen. Allerdings hat sich auch gezeigt, dass es kleineren gewählten Mitgliedern durchaus gelingen kann, die Arbeiten im (SR) trotz dieser herausfordernden Ausgangslage massgeblich zu beeinflussen.  Entsprechend erscheint es mit Hinblick auf die Vorbereitung der anstehenden Schweizer Mitgliedschaft sinnvoll, zu eruieren, welche Herangehensweisen und Strategien von kleineren gewählten SR-Mitgliedern sich dabei als erfolgversprechend erwiesen haben.[2]

In diesem Zusammenhang wird oft die grundlegende Bedeutung einer minutiösen Vorbereitung auf eine Einsitznahme hervorgehoben. Dazu gehören unter anderem das Auf- und Ausbauen von Expertise, das Konsolidieren von Positionen zu den regelmässig im SR diskutierten thematischen und geografischen Dossiers sowie das Anpassen der verwaltungsinternen Organisationsstrukturen und Koordinationsmechanismen. Zudem scheint im Rahmen von Vorbereitungsarbeiten auch vermehrt berücksichtigt zu werden, wie Akteure aus der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft gewinnbringend in eine SR-Einsitznahme eingebunden werden können.

Auf bereits Erreichtem aufbauen

Weiter scheint es besonders für kleinere gewählte Mitglieder wichtig zu sein, wenn immer möglich im Verbund mit anderen, ähnliche Interessen verfolgenden SR-Mitgliedern zusammenzuarbeiten, um so den Effekt eines “Kraft-Multiplikators" zu erreichen. Mit dem Grundsatz der Arbeit im Verbund zusammenhängend scheint es auch sinnvoll zu sein, Dossiers prioritär aufzugreifen, in denen auf bereits Erreichtem aufgebaut werden kann sowie sich dort besonders aktiv einzubringen, wo man sich aufgrund des eigenen Länderprofils besonders abheben und somit einen Mehrwert bieten kann. Schweden, welches seit längerem eine «feministische Aussenpolitik» verfolgt, hat im Rahmen seiner Mitgliedschaft 2017/18 zum Beispiel den Schwerpunkt auf die WPS-Agenda (Women, Peace and Security) gesetzt und konnte diese entscheidend vorantrieben. Auf diesen Erfolgen aufbauend hat Deutschland sich eng mit Schweden abgestimmt und während seiner Mitgliedschaft 2019/20 die WPS-Agenda weiter prioritär vorangetrieben.

Zudem hat sich gezeigt, dass gewählte Mitglieder, darunter auch kleinere Staaten, sich zum Teil dort gewinnbringend einbringen können, wo Grossmächtespannungen und die Interessenwahrungslogik der fünf permanenten Mitglieder (P5) den SR in seiner Handlungsfähigkeit einschränken und blockieren. So gelang es zum Beispiel Australien, Luxemburg und Jordanien 2013 und 2014, im festgefahrenen Syriendossier Kompromisse zwischen den permanenten Mitgliedern auszuarbeiten und somit humanitäre Hilfe zu ermöglichen. Dieser Mechanismus konnte seither trotz anhaltendem und sich zum Teil noch verschärfendem Dissens unter den P5 Jahr für Jahr erneuert werden, jüngst nicht zuletzt dank der Bestrebungen von Schweden in 2017/18, Belgien in 2019/20 und Norwegen und Irland 2021.

Da die Schweiz bereits seit Längerem mit einer relativ hohen Wahrscheinlichkeit im Juni 2022 mit einer Wahl in den SR rechnen kann, konnte vergleichsweise früh mit konkreten Vorbereitungen begonnen werden. Besonders beachtenswert ist dabei der vom Aussendepartement im Juni 2021 lancierte strukturierte Dialog, der darauf abzielt, Akteure aus der Zivilgesellschaft (u.a. die SGA-ASPE) und der Forschung in die Kandidatur und später bei einer allfälligen Einsitznahme möglichst optimal einzubinden. Ferner ist der Prozess, der darauf abzielt, die Schwerpunkte einer möglichen Schweizer Mitgliedschaft im SR zu definieren, weit fortgeschritten. Konkrete Vorschläge durchlaufen gegenwärtig den politischen Konsultationsprozess und sollen voraussichtlich nach der geglückten Wahl im Juni 2022 bekanntgegeben werden. Dabei sollte idealerweise die Einsicht berücksichtigt werden, wonach es lohnenswert ist, Dossiers prioritär aufzugreifen, in denen auf bereits Erreichtem aufgebaut werden kann. Ebenfalls sollte der Fokus daraufgesetzt werden, sich besonders in jenen Dossiers aktiv einzubringen, in denen sich die Schweiz aufgrund ihres Länderprofils abhebt.

Aktuell kommt kleineren Ländern besondere Rolle zu

In welchem Ausmass und in welcher Konstellation eine Zusammenarbeit mit anderen SR-Mitgliedern für die Schweiz praktikabel sein wird, wird in entscheidendem Mass von den 2023/24 im SR geltenden kontextuellen Faktoren abhängen. Darunter zum Beispiel die Zusammensetzung des SR, die Positionen und Profile der anderen SR-Mitglieder, die SR-internen Dynamiken, die internationale Grosswetterlage sowie der Status der im SR behandelten regionalen Krisen.

Einige dieser Faktoren, wie etwa die Zusammensetzung des SR 2023/24, lassen sich bereits jetzt relativ gut antizipieren und sollten entsprechend in die Vorbereitungen miteinfliessen. Weiter muss damit gerechnet werden, dass die russische Invasion der Ukraine im Februar 2022 und die daraus resultierenden akzentuierten internationalen Spannungen sich negativ auf die Handlungsfähigkeit des SR auswirken werden. Gerade vor diesem Hintergrund dürfte allerdings die Einsicht, wonach kleineren gewählten SR-Mitgliedern gerade dann eine wichtigere Rolle zukommen kann, wenn Spannungen unter den P5 den SR in seiner Handlungsfähigkeit einschränken, von besonderer Relevanz sein. Ob es für die Schweiz Spielraum dafür geben wird, sich im SR als Brückenbauer einzubringen, wird von verschiedenen Faktoren abhängen. Unter anderem vom Kooperationswillen unter den P5 und der Art und Weise, wie die Schweiz von den verschiedenen Seiten wahrgenommen wird.

Eines steht ausser Frage: Eine Einsitznahme im UNO-Sicherheitsrat stellt für ein Land eine historische Chance dar, um seine aussenpolitischen Ziele und Werte voranzutreiben und einen Beitrag an eine friedlichere Welt zu leisten. Gleichzeitig kann es allerdings gerade für kleinere gewählte Mitglieder schwierig sein, sich im SR effizient einzubringen. Zudem wird die Schweizer Mitgliedschaft mit einer Phase extremer Grossmächtespannungen zusammenfallen, welche unweigerlich weitreichende Implikationen für die im SR vorherrschenden Dynamiken haben wird. Erfahrungen aus anderen Ländern können aber dabei helfen, die Schweizer Mitgliedschaft trotz dieser herausfordernden Ausgangslage optimal zu nutzen.

 

*Fabien Merz ist Senior Researcher am Center for Security Studies (CSS) an der ETH Zürich. Er forscht u.a. zur Schweizer Aussen- und Sicherheitspolitik.

[1] Dieser kurze Artikel beruht auf einem vom selben Autor verfassten Buchkapitel. Entsprechend können die hier ausgeführten Punkte im entsprechenden Buchkapitel in detaillierterer Form nachgelesen werden. Siehe dazu: Fabien Merz, «Chancen auf der internationalen Bühne: Die Schweiz im UNO-Sicherheitsrat», in: Bulletin zur Schweizer Sicherheitspolitik, Center for Security Studies (CSS).

[2] Dabei wurde sich bewusst auf die Erfahrungen von Ländern wie Australien, Schweden, die Niederlande oder Belgien konzentriert, welche nicht nur der gleichen UNO-Ländergruppe wie die Schweiz angehören (der sogenannten „Western European and Other Group“ oder kurz WEOG), sondern welche auch allesamt von den Grundvoraussetzungen und von ihrer UNO-Politik gewisse grundsätzliche Ähnlichkeiten mit der Schweiz aufweisen.