Lesetipp
Über Globalpolitik und diplomatische Details
von
Adrian Hadorn
| Mai 2016
Ein weiteres Buch eines emeritierten Diplomaten, der in fast allen Gegenden unserer Welt vieles erlebt hat. «Métier sans frontières» will beitragen, Vorurteile gegen den goldenen Diplomatenkäfig zu entkräften.
Francis Cousin ist ein begabter Causeur, humorvoll, aber im Hintergrund immer mit grosser Sorge um den Gang der Weltgeschichte. Immer auch mit grosser Lust, Neues zu entdecken, in andere Kulturen einzutauchen.
Während vier Dekaden haben elf Länder in vier Kontinenten seinen Erfahrungsschatz in (fast) allen Themen der schweizerischen Aussenpolitik angereichert, sein Augenmass geschärft, seinem Charme und Humor immer zu neuer Wirkung verholfen.
Sein letzter Einsatz – Missionschef in Albanien – ist ein gutes Beispiel, wie die verschiedenen Instrumente der schweizerischen Aussenpolitik zusammenspielen können: «La Suisse avait engagé une stratégie conjointe, associant la coopération au développement, l’aide humanitaire, l’aide financière, le renforcement de la democratie, la culture, ainsi que la coopération militaire dans le cadre du Partenariat pour la paix de l’OTAN.» (p.243)
Francis Cousin ist ein Meister in der integrativen Sicht und Praxis unserer Aussenpolitik. Von administrativen Details bis zu globalpolitischen Herausforderungen der Umwelt, der Sicherheit oder der Wirtschaft: Alles verdient seine Aufmerksamkeit, seine Sorgfalt in der Pflichterfüllung.
Ein Stilmittel, das der Autor ab und zu anwendet, stellt alltägliche, konsularische oder diplomatische Banalitäten haarscharf neben weltpolitische Ereignisse.
Zum Beispiel ganz zu Beginn seiner Karriere: Ein abrupter Wechsel vom langweiligen Bürokratenkram im Konsulat von Los Angeles in die eben eröffnete diplomatische Vertretung in Hanoi mitten im Vietnamkrieg, als Präsident Nixon und sein Sicherheitsberater Henry Kissinger über den Einsatz von Atomwaffen diskutierten. (S. 19)
Zum Beispiel in Quito/Ecuador: Vier junge Schweizer aus Genf kamen wegen 2 Marihuana-Zigaretten-Stummeln im Hotelzimmer für sechs Monate ins Gefängnis (S. 163). Der Geschäftsträger und seine Gemahlin besuchten an Weihnachten die armen Kerle im Gefängnis und trösteten sie mit einem Schluck Schweizer Weisswein. Wegen möglichem Zusammenhang mit Geldwäscherei hatte sich die Botschaft gleichzeitig um Kokainherstellung und –Handel zwischen Ecuador und Kolumbien zu kümmern.
Zum Beispiel im Regenwald am Oberlauf des Amazonas. Bei einem Wochenend-Ausflug überraschte ein gewaltiger Tropenregen derart, dass die Rückkehr in die Hauptstadt zum Abenteuer wurde. (S. 169) In Quito fand zu dieser Zeit eine Zusammenkunft der Signatarmächte des «Traité de coopération amazonienne» statt. Gegenstand war ein Ökosystem, welches fast die Hälfte des Sauerstoffes für die Menschheit produziert.
Der Autor scheut sich auch nicht, ab und zu Querverweise zur helvetischen Politik zu machen. Etwa beim Einsatz im weinseligen Bordeaux. Um 1920 stellte die Schweizer Kolonie in einzelnen Gemeinden der Region das grösste ausländische Kontingent. Nicht ohne Schmunzeln bemerkt der Generalkonsul: «Ce phénomène ne semble pourtant pas avoir donné lieu à un mouvement contre l'immigration de masse ».
Eindrücklich ist im Schlusskapitel «En guise de conclusion» der Abschnitt über das Verhältnis der Schweiz zur EU: «Avec son expérience du fédéralisme, des subtils équilibres politiques internes, du plurilinguisme, de la démocratie directe et de la péréquation financière la Suisse dispose à l’évidence d’atouts qui lui permettraient d’apporter sa pierre à l’édification d’une Europe unie, fédéraliste, résolue à surmonter ses vieux démons.»
Zwei kritische Bemerkungen dürfen nicht fehlen:
Für wen ist das Buch geschrieben? Ehemalige und heutige Angestellte im Aussendienst der Eidgenossenschaft werden es mit Genuss (einige wenige mit Verdruss) lesen, weil sie darin – explizit oder implizit – vorkommen. Im Schlusskapitel ist ein Abschnitt ganz besonders interessant für diejenigen, die mit dem Gedanken spielen, im helvetischen Aussendienst ihre berufliche Zukunft zu suchen: «A propos du métier … sans frontières».
Wir leben in einer Zeit, welche die Grenzen zwischen Innen- und Aussenpolitik verwischt. Das Interesse an Aussenpolitik ist – gerade auch bei der Jugend – am Wachsen. Für dieses Interesse ist das vorliegende Buch voller Anregungen zum Nach- und Voraus-Denken. Wer Diplomaten allerdings als Cüplihelden und Aussenpolitik als überflüssig beurteilt, wird das Buch nicht lesen. Dabei hätten gerade sie und er es nötig.
Francis Cousin, Métier sans frontières. 40 ans au service de la diplomatie suisse. Neuchâtel, 2016 (Editions Alphil), 294 p, CHF 29.00
Francis Cousin ist ein begabter Causeur, humorvoll, aber im Hintergrund immer mit grosser Sorge um den Gang der Weltgeschichte. Immer auch mit grosser Lust, Neues zu entdecken, in andere Kulturen einzutauchen.
Während vier Dekaden haben elf Länder in vier Kontinenten seinen Erfahrungsschatz in (fast) allen Themen der schweizerischen Aussenpolitik angereichert, sein Augenmass geschärft, seinem Charme und Humor immer zu neuer Wirkung verholfen.
Sein letzter Einsatz – Missionschef in Albanien – ist ein gutes Beispiel, wie die verschiedenen Instrumente der schweizerischen Aussenpolitik zusammenspielen können: «La Suisse avait engagé une stratégie conjointe, associant la coopération au développement, l’aide humanitaire, l’aide financière, le renforcement de la democratie, la culture, ainsi que la coopération militaire dans le cadre du Partenariat pour la paix de l’OTAN.» (p.243)
Francis Cousin ist ein Meister in der integrativen Sicht und Praxis unserer Aussenpolitik. Von administrativen Details bis zu globalpolitischen Herausforderungen der Umwelt, der Sicherheit oder der Wirtschaft: Alles verdient seine Aufmerksamkeit, seine Sorgfalt in der Pflichterfüllung.
Ein Stilmittel, das der Autor ab und zu anwendet, stellt alltägliche, konsularische oder diplomatische Banalitäten haarscharf neben weltpolitische Ereignisse.
Zum Beispiel ganz zu Beginn seiner Karriere: Ein abrupter Wechsel vom langweiligen Bürokratenkram im Konsulat von Los Angeles in die eben eröffnete diplomatische Vertretung in Hanoi mitten im Vietnamkrieg, als Präsident Nixon und sein Sicherheitsberater Henry Kissinger über den Einsatz von Atomwaffen diskutierten. (S. 19)
Zum Beispiel in Quito/Ecuador: Vier junge Schweizer aus Genf kamen wegen 2 Marihuana-Zigaretten-Stummeln im Hotelzimmer für sechs Monate ins Gefängnis (S. 163). Der Geschäftsträger und seine Gemahlin besuchten an Weihnachten die armen Kerle im Gefängnis und trösteten sie mit einem Schluck Schweizer Weisswein. Wegen möglichem Zusammenhang mit Geldwäscherei hatte sich die Botschaft gleichzeitig um Kokainherstellung und –Handel zwischen Ecuador und Kolumbien zu kümmern.
Zum Beispiel im Regenwald am Oberlauf des Amazonas. Bei einem Wochenend-Ausflug überraschte ein gewaltiger Tropenregen derart, dass die Rückkehr in die Hauptstadt zum Abenteuer wurde. (S. 169) In Quito fand zu dieser Zeit eine Zusammenkunft der Signatarmächte des «Traité de coopération amazonienne» statt. Gegenstand war ein Ökosystem, welches fast die Hälfte des Sauerstoffes für die Menschheit produziert.
Der Autor scheut sich auch nicht, ab und zu Querverweise zur helvetischen Politik zu machen. Etwa beim Einsatz im weinseligen Bordeaux. Um 1920 stellte die Schweizer Kolonie in einzelnen Gemeinden der Region das grösste ausländische Kontingent. Nicht ohne Schmunzeln bemerkt der Generalkonsul: «Ce phénomène ne semble pourtant pas avoir donné lieu à un mouvement contre l'immigration de masse ».
Eindrücklich ist im Schlusskapitel «En guise de conclusion» der Abschnitt über das Verhältnis der Schweiz zur EU: «Avec son expérience du fédéralisme, des subtils équilibres politiques internes, du plurilinguisme, de la démocratie directe et de la péréquation financière la Suisse dispose à l’évidence d’atouts qui lui permettraient d’apporter sa pierre à l’édification d’une Europe unie, fédéraliste, résolue à surmonter ses vieux démons.»
Zwei kritische Bemerkungen dürfen nicht fehlen:
- Gegen Schluss des Buches werden noch alle Reisen aufgeführt, die das Ehepaar nach der Pensionierung absolvierte. Mögliches Missverständnis: der Kern der Diplomaten-Motivation besteht im Reisen.
- Im Kapitel über die Rolle des konsularischen Inspektors werden einige – gewiss amüsante – Anekdoten erzählt. Ob diese immer dazu beitragen, beim Leser den Eindruck zu hinterlassen, dass Inspektionen ernsthaft und wirkungsvoll sind, bleibt diesem überlassen…
Für wen ist das Buch geschrieben? Ehemalige und heutige Angestellte im Aussendienst der Eidgenossenschaft werden es mit Genuss (einige wenige mit Verdruss) lesen, weil sie darin – explizit oder implizit – vorkommen. Im Schlusskapitel ist ein Abschnitt ganz besonders interessant für diejenigen, die mit dem Gedanken spielen, im helvetischen Aussendienst ihre berufliche Zukunft zu suchen: «A propos du métier … sans frontières».
Wir leben in einer Zeit, welche die Grenzen zwischen Innen- und Aussenpolitik verwischt. Das Interesse an Aussenpolitik ist – gerade auch bei der Jugend – am Wachsen. Für dieses Interesse ist das vorliegende Buch voller Anregungen zum Nach- und Voraus-Denken. Wer Diplomaten allerdings als Cüplihelden und Aussenpolitik als überflüssig beurteilt, wird das Buch nicht lesen. Dabei hätten gerade sie und er es nötig.
Francis Cousin, Métier sans frontières. 40 ans au service de la diplomatie suisse. Neuchâtel, 2016 (Editions Alphil), 294 p, CHF 29.00
Lesetipp
Als die Aussenpolitik mehr «Noten» erhielt
von Christoph Wehrli | Mai 2022
Die in einem neuen Band publizierten Diplomatischen Dokumente der Schweiz (Dodis) aus den Jahren 1976 bis 1978 illustrieren eine gewisse Anpassung der Aussenpolitik an den internationalen Kontext. Neue Akzente wurden in der Menschenrechtspolitik gesetzt, während Wirtschaftsinteressen ihr Gewicht behielten.
Lesetipp
Entwicklungshilfe seit je Interessenpolitik
von René Holenstein* | März 2022
In einer neuen Publikation lässt der emeritierte Professor Jacques Forster die wichtigen Etappen der Geschichte der Nord-Süd-Beziehungen Revue passieren. Sie vermittelt spannendes Hintergrundwissen und liefert aktuelle Orientierungshilfen für alle, die sich für Entwicklungspolitik interessieren.
Lesetipp
Numa Droz – Das Auswärtige in einer Hand
von Christoph Wehrli | März 2022
Bundesrat Numa Droz leitete von 1888 bis 1892 als Erster ein vom Amt des Bundespräsidenten losgelöstes «Departement des Äusseren». In die Amtszeit des sehr aktiven Magistraten fielen Spannungen mit dem Deutschen Reich und wichtige Wirtschaftsverhandlungen.