Kolumne

Was die Schweiz für die Ukraine tun könnte - wenn sie nur wollte.

von Daniel Woker | November 2023
Dass die Schweiz nichts tut zugunsten der Ukraine, was Rüstungsgüter anbelangt, ist falsch, aber ein innenpolitisches (Neutralitäts)problem. Dass sie dafür finanziell sehr viel mehr tun könnte als Humanitäre Hilfe, geleistet zudem auf Kosten des Globalen Südens, wäre leicht zu ändern mit weniger rechts- und währungspolitischer Sturheit von Seiten von Bundesrat und Nationalbank.

Dogma Neutralität

Wie der eidgenössische Wahlkampf  -  exemplarisch eine  Walhlkampfarena über die Aussenbeziehungen der Schweiz  -   zeigte, ist die Frage militärischer Hilfe an die Ukraine auf das innenpolitische Urgestein ‘Neutralität’ aufgelaufen. Nur an dessen Rand, indirekte Lieferungen, sollte etwas geschehen, so zumindest die nicht nationalistisch verblendeten Parteivertreter. Direkte Militärhilfe hingegen bleibt Tabu, wie auch der sozialdemokratische Bundesratskandidat Jon Pult feststellte, wegen «Neutralität und der Haager Landkriegsordnung». Das ist zwar falsch  -  die schweizerische Neutralität wird international nicht und nur in der Schweiz anerkannt, die UNO-Charta hat die Bestimmungen aus dem 19.Jahrhundert längst völkerrechtlich obsolet gemacht  - , aber die Fiktion Neutralität scheint innenpolitisch eben so festgefügt wie das Rütli.

Ressourcen- und Finanzverwalter Schweiz

Hinlänglich bekannt ist die Tatsache, dass die Schweiz indirekt Russland weiterhin massiv unterstützt, via (noch) nicht gesperrte Guthaben von russischen Personen in der Schweiz  -  von rund 200 Mia. total  sind rund 8 Mia. Fr. blockiert -  und als Standort von Großhandelsfirmen, die im legalen, allenfalls auch  illegalen Handel von russischen Rohstoffen tätig sind. Die gerechtfertigte Forderung gewichtiger Teile der schweizerischen Politik, dem internationalen Überwachungsorgan der westlichen Sanktionen gegen Russland beizutreten, ist das eine. Von unmittelbarer Bedeutung und Gewicht wäre aber massive Finanzhilfe an die von Putins Aggressionskrieg arg gebeutelte Ukraine. Die offiziell angekündigte, eine knappe Milliarde schwere Tranche «Humanitäre Hilfe»im Rahmenkredit 2025-28 für internationale Zusammenarbeit IZA ist erstens viel zu wenig, würde zweitens voll auf die Kosten der Ärmsten im «Globalen Süden» gehen und ist drittens viel zu eng definiert. Nötig ist in erster Linie Zahlungsbilanzhilfe, also nicht-gebundene Finanzmittel, welche der ukrainischen Regierung helfen, zivile Löhne sowie Sozialausgaben zu finanzieren, um über genügend Geld  für den Verteidigungskampf zu verfügen.

Währungsfonds und blockierte Konten

Entgegen den Beteuerungen aus dem Staatssekretariat für internationale Finanzfragen SIF sowie der Nationalbank könnten die beträchtlichen Währungsreserven (Sonderziehungsrechte, SDR) der Schweiz im Rahmen des Internationalen Währungsfonds IMF durchaus für Hilfe an die Ukraine gebraucht werden.  Wie das andere währungspolitisch grundsätzlich solide europäische Länder wie Deutschland und die Niederlande bereits getan haben. Das Vorgehen via die Schaffung eines speziellen IMF-Fonds ist nicht ganz unkompliziert, aber machbar. Grünes Licht der beiden dafür in der Schweiz zuständigen Stellen SIF und SNB würde genügen; die Auswirkungen auf die Schweiz und das Bundesbudget in Form von Kreditgarantien und minimale Zinszahlungen wären ohne weiteres verkraftbar und auch nicht erstmalig.

Ebenso wenig ausgeschlossen ist aus rechtlicher Sicht die Nutzbarmachung der blockierten russischen Konten zu Gunsten der Ukraine. Sich lediglich auf die Besitzgarantie in der Bundesverfassung zu berufen, um diesen Weg kategorisch auszuschliessen ist rechtlich falsch und unklug. Im Kreise globaler Experten  -  so etwa der US-Amerikaner Robert Zoellick, republikanischerr Top-Beamter unter George W. Bush und ehemaliger Präsident der Weltbank  -    wird sehr wohl aktiv diskutiert, ob eine Beschlagnahme der blockierten Guthaben angesichts von Präzedenzfällen nicht internationalrechtlich zulässig wäre. Es geht dabei nicht um die simple Überweisung der Gelder an die Ukraine, welche bekanntlich weiterhin auch gegen interne Korruption kämpft. Sondern zunächst um die laufenden Erlöse aus dem blockierten Geld, das ja weiterhin Erträge generiert. Diese würden verbrieft, das heisst als Garantie für festverzinsliche Wertpapiere (Bonds) dienen, welche von staatlicher und privater Seite gekauft würden. Sowohl die USA als auch die EU sind in der Prüfung dieses Vorgehens schon weit fortgeschritten.

Schweizerische Sicherheits- und Europapolitik

Viel mehr Beistand zugunsten der Ukraine, welche auch  für die Demokratie in Europa kämpft, ist für die ur-demokratische Schweiz ein moralisches Gebot der Stunde. Aber bei weitem nicht nur.

Angesichts der militärischen Lage im heutigen Europa mindestens ebenso wichtig ist der sicherheitspolitische Imperativ für die Schweiz, militärisch enger mit NATO und EU zusammenzuarbeiten. Das wird in der Optik dieser beiden Organisationen nur möglich sein, wenn sich die Schweiz gegenüber der Ukraine  ungleich viel solidarischer mit dem Rest von Europa verhält als im Moment. Schlimm genug, dass die «Urfurcht» vor dem nationalistischen Diskurs der SVP sowohl im Bundesrat als auch bei den Exponenten wichtiger Parteien   -  von einer klaren Mehrheit in der Schweiz befürworteten  -   Waffenlieferungen verhindert hat.  Mit international weithin sichtbarer Finanzhilfe in Milliardenhöhe könnte die Schweiz dies teilweise gut machen.

Ähnliches gilt in der Europapolitik. Wenn man sich hierzulande erstaunt gibt, dass das Brexit-Grossbritannien sich relativ unbeschadet dem Forschungs- und Geldpaket «Horizon-Europe» wieder anschliessen konnte, geht eine grundlegende Tatsache vergessen. London ist im Gegensatz zum strategischen Fliegengewicht Schweiz europäisch führend im Beistand an die Ukraine und damit zentral wichtig für Brüssel. Dagegen geben wir im Moment dem EU-Europa nichts, wollen aber möglichst alles, sowohl Binnenmarkt als auch Selbstbestimmung, von diesem.

Höchste Zeit also, nicht nur mit der «Gschäftlimacher-Neutralität» (die grüne Nationalrätin Schlatter in der eingangs erwähnten SRF-Arena aufzuhören), sondern mit einer allein auf kurzfristigen Gewinn ausgerichteten Mentalität in der Aussenpolitik generell.