Editorial

50 Jahre Aussenpolitik in einem introvertierten Land

von SGA-Vizepräsident Rudolf Wyder | April 2018
Die beste Aussenpolitik sei es, keine Aussenpolitik zu haben. So geht das Diktum in der Schweiz seit Generationen. Die Realität ist eine völlig andere: Unser Land pflegt auf allen Ebenen intensivste Aussenbeziehungen. Dies ins Gesichtsfeld zu rücken und die aussenpolitische Debatte zu fördern, ist Ziel der vor genau 50 Jahren gegründeten SGA-ASPE.

Wenige Länder sind international derart vernetzt wie die Schweiz. Was also kann gemeint sein, wenn von den einen diagnostiziert, von den anderen propagiert wird, Abstinenz, ja Absenz sei das Schweizer Erfolgsrezept? Es ist nicht mehr als der Ausdruck einer mittlerweile nicht mehr hinterfragten Tabuisierung des politischen Diskurses über eine der zentralen Bundesaufgaben.

Selbstverständlich hat die Schweiz eine Aussenpolitik. Auch verfügt sie über eine effiziente und bemerkenswert erfolgreiche Diplomatie. Was sie hingegen nicht hat, ist eine kohärente aussenpolitische Strategie. Eine ernsthafte politische Auseinandersetzung über Herausforderungen, Ziele und Optionen der schweizerischen Aussenpolitik findet nicht statt. Und Aussenpolitiker sind überaus dünn gesät. Damit gemeint sind nicht Stammtischbesucher, die sich gerne über internationale Sachverhalte auslassen. Gemeint sind Politikerinnen und Politiker, die mit dem internationalen Umfeld vertraut sind und die Schweiz in ihrer globalen Interdependenz wahrnehmen.

Die Schweizerische Gesellschaft für Aussenpolitik SGA-ASPE ist vor nunmehr 50 Jahren gegründet worden aus der Einsicht,

  • dass die internationalen Verknüpfungen immer vielfältiger werden und keiner sich ihnen dadurch entziehen kann, dass er den Kopf in den Sand steckt.

  • dass Innen- und Aussenpolitik immer stärker ineinandergreifen.

  • dass unsere für Binnenfragen konzipierten demokratischen Institutionen zunehmend gefordert sind, indem mehr und mehr Urnengänge internationale Implikationen haben.


Die SGA-ASPE ist nicht ins Leben gerufen worden, um bestimmte aussenpolitische Ziele zu verfolgen. Sie führt keine Kampagnen. Ihre Zielsetzung ist eine staatspolitische. Nämlich Information und Diskussion über Themen der schweizerischen Aussenpolitik zu fördern und so die Stimmberechtigten in die Lage zu versetzen, in Fragen mit grenzüberschreitendem Bezug sachkundig zu urteilen.

Es versteht sich, dass eine Gesellschaft für Aussenpolitik nicht gegen Aussenpolitik sein kann. Mit der einleitend zitierten «Volksweisheit» hat die SGA-ASPE naturgemäss nichts am Hut. Sie tritt für eine aktive, bewusst konzipierte Aussenpolitik und für eine offene, selbstbewusste, partizipative Schweiz ein.

In diesem Geist förderte die Gesellschaft seit ihrer Gründung die Meinungsbildung über Mitwirkung und aktive Interessenvertretung in der UNO. In den 70er-Jahren machte sie sich stark für die Erweiterung der demokratischen Mitsprache bei aussenpolitischen Weichenstellungen durch den Ausbau des Staatsvertragsreferendums. Mit Vortrags- und Diskussionsveranstaltungen begleitete sie die Bemühungen um eine Entspannung zwischen Ost und West. Gleichzeitig betonte sie stets die globale Mitverantwortung der Schweiz im Verhältnis Nord-Süd. Vor allem aber ist es die Stellung der Schweiz in Europa, welche die SGA-ASPE als Dauerthema beschäftigt. Hinzu kommt neuerdings die Auseinandersetzung mit Anfechtungen gegen internationales Recht und gemeinsamem Grundrechteschutz.

Das Verhältnis der Schweiz zur EU steht derzeit im Vordergrund der Informationsanstrengungen der SGA-ASPE. Hier liegt die wichtigste Baustelle der schweizerischen Aussenpolitik. Aber ausgerechnet in dieser kapitalen Frage fehlt es dem Land an einer den Herausforderungen angemessenen politischen Strategie. Statt eines rationalen Diskurses herrschen Konfusion und Kakophonie. Nicht um das Gesamtbild dreht sich die Debatte. Vielmehr verstrickt sich männiglich in Rabulistik um Einzelaspekte. Es lässt perplex, wie kleinmütig und kurzsichtig unsere Europadebatte geworden ist.

Der SGA-ASPE fällt immer wieder die Rolle zu, ein paar einfache Wahrheiten in Erinnerung zu rufen. Etwa, dass kein Land Aussenpolitik im Alleingang führen kann. Oder, dass die Schweiz auf Partner und Freunde angewiesen ist. Und, dass man nicht darum herum kommt, sich offenen Sinns mit deren Interessen und Logik auseinanderzusetzen.

Aus historischen und strukturellen Gründen ist die Eidgenossenschaft ein introvertiertes Land. Der schweizerische Bundesstaat ist nicht dazu geschaffen worden, eine aktivistische Aussenpolitik zu führen. Jahrzehntelang lag die Besorgung der auswärtigen Angelegenheiten – gleichsam als Nebenjob – in den Händen des jährlich wechselnden Bundespräsidenten. Enthaltsamkeit und Diskretion haben Tradition. Aber in keiner Phase der Geschichte war die schweizerische Aussenpolitik so konzeptarm und zaghaft wie nach dem Zweiten Weltkrieg. Das «Réduit» wirkt kraftvoll nach. Es ist, bewusst oder unbewusst, nachgerade zu einem Teil der nationalen Identität geworden. Spätestens seit 1989 ist dies jedoch ein Anachronismus angesichts einer immer interdependenteren Welt, in der örtliche und zeitliche Distanzen praktisch aufgehoben sind.

Aussenpolitik sei immer auch Innenpolitik, wird gesagt. Das ist ebenso richtig, wie es falsch sein kann. Richtig ist, dass solide Aussenpolitik innenpolitischer Bodenhaftung bedarf. Genau daran arbeitet die SGA-ASPE. Falsch ist, Aussenpolitik bloss als Dépendance der Innenpolitik zu sehen, so als wäre unsere Innensicht verbindlich für alle Welt. Die SGA-ASPE hält nichts von Nabelschau. Sie wird sich weiterhin für einen seriösen, faktenbasierten Diskurs über aussenpolitische Ziele und Strategien engagieren.