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Myanmar - grosses Leid, wenig beachtet

von René Holenstein * | März 2023
Hintergrund zum Thema im Sicherheitsrat: Gewalt, Menschenrechtsverletzungen und das Schicksal der Rohingya in Myanmar.

Fast unbemerkt von der Weltöffentlichkeit, brodelt in Myanmar ein interner Konflikt weiter, der immer mehr Todesopfer fordert und zu schwerem Leid für die Bevölkerung führt. Eine Beruhigung der Lage ist nicht absehbar, wenn nicht bald eine Lösung gefunden wird.

Die Uno-Sondergesandte für Myanmar, Noeleen Heyzer, berichtete letzte Woche vor der Uno-Generalversammlung und dem Sicherheitsrat über die Situation in dem südostasiatischen Land (siehe "Wochenrückblick"). Im Dezember verabschiedete der Sicherheitsrat zum ersten Mal in seiner Geschichte eine Resolution, in der er «seine tiefe Besorgnis» über die Situation seit dem Militärputsch am 1. Februar 2021 ausdrückt. In der Entschliessung fordern die Mitgliedstaaten ein sofortiges Ende der Gewalt, einen sicheren und ungehinderten humanitären Zugang und die Freilassung politischer Gefangener. Dazu gehört auch die de facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi, die durch den Militärputsch abgesetzt wurde und seitdem zu mehreren Haftstrafen verurteilt wurde. Die Resolution unterstreicht ausserdem, dass es notwendig ist, eine Lösung für die Rohingya-Flüchtlinge zu finden.

Von Menschenrechtsorganisationen wurde diese Resolution als historische Zäsur gewertet, denn der Sicherheitsrat war in der Frage Myanmars stets gespalten. Doch der Text enthält auch Schwächen, da er weder die Verhängung eines Waffenembargos vorsieht noch Massnahmen enthält, um die Verantwortlichen für die schweren Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft zu ziehen. Die ASEAN, deren Mandat darin besteht, die Krise in Myanmar gemäss dem vor zwei Jahren beschlossenen «Fünf-Punkte-Konsens» zu lösen, hat es bisher nicht geschafft, die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen und die Behinderung der humanitären Hilfe zu beenden.

«Die Gewalt muss aufhören»

Von der Weltöffentlichkeit weitgehend unbeachtet, dauere die Gewalt in Myanmar «in alarmierendem Ausmass an», betonte die Sondergesandte Heyzer vor den Uno-Mitgliedstaaten. «Die Gewalt muss aufhören, einschliesslich der Bombardierungen aus der Luft und der Brandschatzung der zivilen Infrastruktur sowie der anhaltenden Verhaftungen von politischen Führern, Akteuren der Zivilgesellschaft und Journalisten durch das Militär.»

Heyzer wies auch auf das Schicksal der Rohingya-Flüchtlinge hin, die in Bangladesch und anderen Ländern leben. Die tieferen Ursachen der Krise im Bundesstaat Rakhine müssten angegangen und die Voraussetzungen für die freiwillige und dauerhafte Rückkehr der in Bangladesch lebenden Rohingya-Flüchtlinge geschaffen werden. Seit der erzwungenen Massenflucht aus dem Rakhine-Staat vor mehr als fünf Jahren leben über eine Million in Flüchtlingslagern in Cox’s Bazar im Südosten von Bangladesch. Ihre Aussicht auf eine Rückkehr nach Myanmar hat sich seit dem Militärputsch vor zwei Jahren verschlechtert. Ausserdem hat der Krieg in der Ukraine die Situation für die Rohingya noch komplizierter gemacht. «Der ganze Fokus [der internationalen Gemeinschaft] liegt jetzt auf dem Krieg und den Flüchtlingen aus der Ukraine», sagte die bangladeschische Premierministerin Sheikh Hasina kürzlich. Infolge des Kriegs und den Verwerfungen auf dem globalen Agrarmarkt sind die Lebensmittelpreise weltweit massiv teurer geworden. Das Welternährungsprogramm (WFP) sah sich gezwungen, die täglichen Nahrungsmittelrationen für die Rohingya zu reduzieren. Sie leiden bereits jetzt unter weit verbreiteter Unterernährung.

Was heisst das für die Schweiz?

Im Juni 2022 hatte die aussenpolitische Kommission des Nationalrates (APK-N) den Bundesrat aufgefordert, der Situation in Myanmar und der Lage der Rohingya besondere Aufmerksamkeit zu schenken und sich für diese «vergessene» humanitäre Krisen besonders einzusetzen. Die Schweizer Uno-Botschafterin Pascale Baeriswyl kennt die Situation in Myanmar von früheren Besuchen und hat sich für eine Lösung der Krise stets persönlich engagiert. Und die Schweizer Diplomatin Christine Schraner Burgener war von 2018 bis 2021 Uno-Sondergesandte für Myanmar. Dieses Engagement gilt es weiterzuführen.

Unser Land muss einen grösseren politischen und finanziellen Beitrag zur Lösung der Krise in Myanmar und der Rohingya-Flüchtlingssituation leisten. Mit ihrem Vorsitz im Sicherheitsrat im Mai 2023 hat sie die Möglichkeit, eigene Schwerpunkte zu setzen. Die Schweiz soll sich in der Uno für eine starke Resolution einsetzen, um ein Waffenembargo und gezielte Sanktionen gegen das Militärregime zu verhängen und die gesamte Myanmar-Frage an den Internationalen Strafgerichtshof zu überweisen. Denn die Personen, die des Völkermords und der Verbrechen gegen die Menschlichkeit an den Rohingya beschuldigt werden, müssen international zur Rechenschaft gezogen werden. Die Schweiz soll sich gemeinsam mit anderen Staaten für einen ungehinderten humanitären Zugang und eine Lösung der Rohingya-Flüchtlingskrise unter Einbezug der direkt betroffenen Bevölkerung einsetzen.

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*René Holenstein ist Historiker und war Schweizer Botschafter in Bangladesch. 2021 ist im Chronos Verlag Zürich sein Buch «Mein goldenes Bengalen» – Gespräche in Bangladesch erschienen.