Editorial
Demokratische Mitsprache in der Europapolitik
von SGA-Präsidentin Christa Markwalder
| Juli 2021
Der Entscheid, die Verhandlungen zum institutionellen Rahmenabkommen (InstA) einseitig zu beenden, fällte der Bundesrat am 26. Mai einsam in seinem Sitzungszimmer – ohne Mitentscheidung von Parlament, Kantonen und Stimmbevölkerung. Der Bundesrat konsultierte zwar die zuständigen aussenpolitischen Kommissionen von National- und Ständerat sowie die Konferenz der Kantonsregierungen. Doch inhaltlich machte er mit dem Weglaufen vom Verhandlungstisch genau das Gegenteil dessen, was die APKs und die Kantone von der Regierung gefordert hatten. Dreist setzte sich der Bundesrat über Teile seines Wahlkörpers und über die Meinung der Kantonsregierungen hinweg. Innenpolitisch mangelt es diesem Entscheid klar an demokratischer Legitimation.
Der europapolitische Scherbenhaufen, den unsere Landesregierung mit dem Verhandlungsabbruch zum InstA angerichtet hat, untergräbt ihre eigene Glaubwürdigkeit und jene der Schweiz auf europäischer und internationaler Ebene. Es klingt denn auch wie ein Hohn, wenn der Bundesrat seither bei jeder Gelegenheit betont, er werde für die EU weiterhin eine zuverlässige und engagierte Partnerin sein. Engagiert – einverstanden, das lässt sich vielseitig aus- und belegen, aber gleichzeitig immer noch glaubwürdig?
Mit neuem Reise-Elan in verschiedene EU-Staaten wollen die Mitglieder des Bundesrats ihren guten Willen unterstreichen und bilaterale Kontakte in den Mitgliedstaaten intensivieren, nachdem sie gerade selbst sehr viel Goodwill der europäischen Verhandlungspartnerin gegenüber der Schweiz verspielt haben. Man kann dabei den Eindruck gewinnen, dass der Ansatz «divide et impera» in subtiler Weise als Vorbild dient oder – höflicher formuliert –, dass in den jeweiligen EU-Hauptstädten gemeinsame bilaterale Interessen die Basis für jeweilige thematische Differenzen mit der EU-Kommission bilden.
Gemeinsame Herausforderungen
Nachdem sich die transatlantischen Banden nach der chaotischen Trump-Ära wieder zu festigen beginnen, der Brexit vertraglich besiegelt ist und gleichzeitig die Spannungen zwischen den Grossmächten weiterhin zunehmen, ist es allerdings nicht im Interesse der Schweiz, dass sich die von Russland und China gesäten Spaltpilze in Europa weiterhin verfestigen. Im Gegenteil. Die Schweiz teilt die europäischen Grundwerte von Freiheit, Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaat und sieht sich mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert wie die Mitgliedstaaten der EU: wirtschaftliche Prosperität, finanzielle Stabilität, Bewältigung der Covid-Pandemie, Bekämpfung des Klimawandels, finanzielle Absicherung der Altersvorsorgesysteme aufgrund der älter werdenden Bevölkerung, Energieversorgungssicherheit, Bekämpfung der organisierten Kriminalität und Cybercrime, Befriedung von Konflikten und Kriegen, Umgang mit Migrationsströmen aus Krisenregionen, Zugang zu Rohstoffen sowie Aufrechterhaltung internationaler Wertschöpfungsketten auch in Pandemie-Zeiten.
Gerade unter dem Blickwinkel dieser gemeinsamen europäischen Herausforderungen und im Umfeld der zunehmenden geo- und sicherheitspolitischen Spannungen war es vom Bundesrat grobfahrlässig, das InstA als Garant für die Fortsetzung der bilateral vertraglich geregelten Beziehungen mit unserer wichtigsten Handelspartnerin aufzugeben. Denn damit ist auch der bilaterale Weg als schweizerisches Integrationsmodell «sui generis» in Frage gestellt. Gewiss, es gibt auch die weitergehenden Integrations-Varianten von EU-Mitgliedschaft, EWR-Mitgliedschaft oder aber die graduelle Desintegration der Schweiz hin zu einem Drittstaat. Letzteres kann angesichts unserer engen wirtschaftlichen und kulturellen Verflechtung mit unseren europäischen Nachbarn keine Option sein. Doch genau dahin hat der Bundesrat am 26. Mai seinen Wegweiser gestellt –basierend auf dem Prinzip Hoffnung, dass es schon irgendwie Wege gäbe, ohne InstA die privilegierte Zusammenarbeit mit der Europäischen Union basierend auf den bestehenden Verträgen weiter zu entwickeln. Das Prinzip Hoffnung darf aber nicht wegleitend für unsere Europapolitik sein. Diese Vorstellung ist zu diffus, denn sie braucht jeweils das Commitment beider Partnerinnen auf beiden Vertragsseiten.
Kommt hinzu, dass es abstrus anmutet, dass sich der Bundesrat – ausgerechnet nach der innenpolitisch abstrakten Debatte über die schweizerische Souveränität – mittels eines Prüfauftrags die Regulierungsdifferenzen zwischen der schweizerischen und der europäischen Gesetzgebung eruieren will. Diese sind in den allermeisten Fällen schon lange erkannt und in jedem einzelnen Bereich entweder bewusst ausgemerzt oder aus spezifischen Gründen stehen gelassen worden.
Für ein neues Gesetz zu den Beziehungen zur EU
Die Aussenpolitische Kommission des Nationalrats, die sich in ihrer grossen Mehrheit und nach vielen konkreten konstruktiven Vorschlägen an die Adresse des Bundesrats bewusst übergangen sah, hat nun mittels parlamentarischer Initiative den Weg als Gesetzgeberin ergriffen. So soll in einem Bundesgesetz festgehalten werden, dass der Bundesrat im Rahmen eines strukturierten politischen Dialogs mit der EU die Klärung der institutionellen Regeln für die Weiterführung und Erleichterung der Beziehungen mit der Europäischen Union anstreben soll, um die Interessen der Schweiz wahren zu können. Darin werden auch die Eckwerte für den Dialog sowie die Rolle und der Einbezug des Parlaments und der Kantone geregelt.
Dieses Gesetz untersteht wie alle Bundegesetze dem fakultativen Referendum, wodurch die Stimmbevölkerung nicht weiter aus der wichtigen europapolitischen Debatte ausgeschlossen würde. In der Europapolitik dürfen weder Parlament noch Souverän zukünftig einsame Entscheidungen aus dem Bundesratszimmer hinnehmen. Das Parlament und die Bevölkerung haben ein Anrecht mitzuentscheiden, ob wir unsere ökonomisch privilegierte Situation in Europa absichern wollen. Als Sekundantin der Spaltpilze aus China und Russland gegen die europäische Einigung eignet sich die Schweiz definitiv nicht. Vielmehr müssen wir einen neuen helvetisch-europäisch kultivierten Pragmatismus an den Tag legen, der die Kohärenz unserer jeweiligen Aussenpolitiken festigt.
Der europapolitische Scherbenhaufen, den unsere Landesregierung mit dem Verhandlungsabbruch zum InstA angerichtet hat, untergräbt ihre eigene Glaubwürdigkeit und jene der Schweiz auf europäischer und internationaler Ebene. Es klingt denn auch wie ein Hohn, wenn der Bundesrat seither bei jeder Gelegenheit betont, er werde für die EU weiterhin eine zuverlässige und engagierte Partnerin sein. Engagiert – einverstanden, das lässt sich vielseitig aus- und belegen, aber gleichzeitig immer noch glaubwürdig?
Mit neuem Reise-Elan in verschiedene EU-Staaten wollen die Mitglieder des Bundesrats ihren guten Willen unterstreichen und bilaterale Kontakte in den Mitgliedstaaten intensivieren, nachdem sie gerade selbst sehr viel Goodwill der europäischen Verhandlungspartnerin gegenüber der Schweiz verspielt haben. Man kann dabei den Eindruck gewinnen, dass der Ansatz «divide et impera» in subtiler Weise als Vorbild dient oder – höflicher formuliert –, dass in den jeweiligen EU-Hauptstädten gemeinsame bilaterale Interessen die Basis für jeweilige thematische Differenzen mit der EU-Kommission bilden.
Gemeinsame Herausforderungen
Nachdem sich die transatlantischen Banden nach der chaotischen Trump-Ära wieder zu festigen beginnen, der Brexit vertraglich besiegelt ist und gleichzeitig die Spannungen zwischen den Grossmächten weiterhin zunehmen, ist es allerdings nicht im Interesse der Schweiz, dass sich die von Russland und China gesäten Spaltpilze in Europa weiterhin verfestigen. Im Gegenteil. Die Schweiz teilt die europäischen Grundwerte von Freiheit, Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaat und sieht sich mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert wie die Mitgliedstaaten der EU: wirtschaftliche Prosperität, finanzielle Stabilität, Bewältigung der Covid-Pandemie, Bekämpfung des Klimawandels, finanzielle Absicherung der Altersvorsorgesysteme aufgrund der älter werdenden Bevölkerung, Energieversorgungssicherheit, Bekämpfung der organisierten Kriminalität und Cybercrime, Befriedung von Konflikten und Kriegen, Umgang mit Migrationsströmen aus Krisenregionen, Zugang zu Rohstoffen sowie Aufrechterhaltung internationaler Wertschöpfungsketten auch in Pandemie-Zeiten.
Gerade unter dem Blickwinkel dieser gemeinsamen europäischen Herausforderungen und im Umfeld der zunehmenden geo- und sicherheitspolitischen Spannungen war es vom Bundesrat grobfahrlässig, das InstA als Garant für die Fortsetzung der bilateral vertraglich geregelten Beziehungen mit unserer wichtigsten Handelspartnerin aufzugeben. Denn damit ist auch der bilaterale Weg als schweizerisches Integrationsmodell «sui generis» in Frage gestellt. Gewiss, es gibt auch die weitergehenden Integrations-Varianten von EU-Mitgliedschaft, EWR-Mitgliedschaft oder aber die graduelle Desintegration der Schweiz hin zu einem Drittstaat. Letzteres kann angesichts unserer engen wirtschaftlichen und kulturellen Verflechtung mit unseren europäischen Nachbarn keine Option sein. Doch genau dahin hat der Bundesrat am 26. Mai seinen Wegweiser gestellt –basierend auf dem Prinzip Hoffnung, dass es schon irgendwie Wege gäbe, ohne InstA die privilegierte Zusammenarbeit mit der Europäischen Union basierend auf den bestehenden Verträgen weiter zu entwickeln. Das Prinzip Hoffnung darf aber nicht wegleitend für unsere Europapolitik sein. Diese Vorstellung ist zu diffus, denn sie braucht jeweils das Commitment beider Partnerinnen auf beiden Vertragsseiten.
Kommt hinzu, dass es abstrus anmutet, dass sich der Bundesrat – ausgerechnet nach der innenpolitisch abstrakten Debatte über die schweizerische Souveränität – mittels eines Prüfauftrags die Regulierungsdifferenzen zwischen der schweizerischen und der europäischen Gesetzgebung eruieren will. Diese sind in den allermeisten Fällen schon lange erkannt und in jedem einzelnen Bereich entweder bewusst ausgemerzt oder aus spezifischen Gründen stehen gelassen worden.
Für ein neues Gesetz zu den Beziehungen zur EU
Die Aussenpolitische Kommission des Nationalrats, die sich in ihrer grossen Mehrheit und nach vielen konkreten konstruktiven Vorschlägen an die Adresse des Bundesrats bewusst übergangen sah, hat nun mittels parlamentarischer Initiative den Weg als Gesetzgeberin ergriffen. So soll in einem Bundesgesetz festgehalten werden, dass der Bundesrat im Rahmen eines strukturierten politischen Dialogs mit der EU die Klärung der institutionellen Regeln für die Weiterführung und Erleichterung der Beziehungen mit der Europäischen Union anstreben soll, um die Interessen der Schweiz wahren zu können. Darin werden auch die Eckwerte für den Dialog sowie die Rolle und der Einbezug des Parlaments und der Kantone geregelt.
Dieses Gesetz untersteht wie alle Bundegesetze dem fakultativen Referendum, wodurch die Stimmbevölkerung nicht weiter aus der wichtigen europapolitischen Debatte ausgeschlossen würde. In der Europapolitik dürfen weder Parlament noch Souverän zukünftig einsame Entscheidungen aus dem Bundesratszimmer hinnehmen. Das Parlament und die Bevölkerung haben ein Anrecht mitzuentscheiden, ob wir unsere ökonomisch privilegierte Situation in Europa absichern wollen. Als Sekundantin der Spaltpilze aus China und Russland gegen die europäische Einigung eignet sich die Schweiz definitiv nicht. Vielmehr müssen wir einen neuen helvetisch-europäisch kultivierten Pragmatismus an den Tag legen, der die Kohärenz unserer jeweiligen Aussenpolitiken festigt.
Kolumne
Der EWR ist von gestern, nicht für morgen
von alt Nationalrat Hans-Jürg Fehr | April 2023
Vor dreissig Jahren wäre der Beitritt der Schweiz zum Europäische Wirtschaftsraum EWR eine gute Lösung gewesen. Das Stimmvolk wollte nicht. In jüngster Zeit wird er von gewissen politischen Kreisen wieder propagiert. Aber heute wäre er eine schlechte Lösung.
Kolumne
Schulterschluss zwischen Bund und Kantonen in der Europapolitik
von Thomas Moser* | April 2023
Der bilaterale Weg zwischen der Schweiz und der EU ist ein Spiel, das von den Verteidigungsreihen dominiert wird. Seit 2007 werden keine wichtigen Verträge mehr abgeschlossen. Die Verhandlungen enden torlos. Als der Bundesrat am 29. März 2023 in Aussicht stellte, die Sondierungsgespräche mit der EU abzuschliessen und bis Ende Juni ein Verhandlungsmandat zu erarbeiten, verwies er auf die Kantone. Der Dialog mit ihnen habe es ermöglicht, für die Staatsbeihilfen und Zuwanderungsfragen konkrete Lösungsansätze zu definieren.