Lesetipp
Entwicklungspolitik unter Klima-Druck
von
Christoph Wehrli
| Dezember 2021
Bei der Bremsung der Klimaerwärmung kommt den Ländern des globalen Nordens eine entscheidende Rolle zu. Zugleich sollten sie im globalen Süden die Verbesserung der Energieversorgung unterstützen. Ein Jahrbuch enthält allgemeine Analysen und Postulate wie auch Beispiele von Handlungsmöglichkeiten.
Caritas Schweiz unternimmt mit ihrem «Almanach Entwicklungspolitik 2022» den notwendigen und schwierigen Versuch, Klimapolitik und Nord-Süd-Ausgleich zusammen zu betrachten sowie Wachstumskritik und Engagement in der Armutsbekämpfung zu verbinden. Unter dem Titel «Klimaschutz und Energiewende» befassen sich Autorinnen und Autoren aus NGOs, Verwaltung, Wissenschaft und Publizistik einerseits mit der Eigenverantwortung der wohlhabenden Länder, anderseits mit Problemen und Lösungsansätzen in Entwicklungsregionen.
Mehr als ein technisches Problem
Dass viel Aufmerksamkeit vorerst der Klimapolitik des globalen Nordens «im eigenen Haus» gilt, rechtfertigt sich damit, dass dort der grösste Teil der weltweiten Treibhausgasmengen ausgestossen wird, während im globalen Süden die Folgen des Klimawandels wie der Verlust von nutzbarem Land oft unmittelbar an die Existenzgrundlagen der breiten Bevölkerung rühren. Für die Caritas geht es um «Klimagerechtigkeit»; eine nüchterne Sachlogik könnte indes zu ähnlichen Schlüssen führen. Zu beachten wäre zwar auch die gewichtige Rolle der wirtschaftlich aufsteigenden Länder in Asien. Doch ändert dies grundsätzlich nichts an der Aufgabe von Staaten wie der Schweiz, eine Wende zu bewerkstelligen, und diese müsste je später, desto schärfer sein.
In mehreren Beiträgen wird festgehalten, dass neue Technologien nicht genügten und dass speziell Effizienzsteigerungen mit dem Mengenwachstum oft nicht Schritt hielten, wenn sie dieses nicht sogar erleichterten. Die Rede ist daher auch von «Suffizienz», Genügsamkeit, und System-Innovation im Sinn einer weniger auf Wachstum ausgerichteten Wirtschafts- und Lebensweise. Ion Karagounis (WWF) skizziert einige Mittel und Wege zu einer Ökonomie «innerhalb der planetaren Grenzen» und lässt nur demografische Fragen (Wachstum, Alterung, Migration) auf der Seite. Als grösste Herausforderung bezeichnet er die soziale Frage, die mit Verteilproblemen und Absicherungsbedürfnissen verbunden ist. Die Finanzierung von Sozialausgaben durch höhere staatliche Schulden, wie es Dominik Gross (Alliance Sud) für die Schweiz postuliert, wäre allerdings kaum als nachhaltig zu betrachten.
Auslagerung ist kein Ausweg
Bei der Vermeidung von Treibhausgasemissionen setze die Schweiz ihre Ambitionen faktisch «extrem tief», schreibt Georg Klingler Heiligtag (Greenpeace). Dies gelte umso mehr, als sie auch Massnahmen im Ausland einrechnen will – obschon zum Inland-Ausstoss etwa doppelt so viele in Importprodukten steckende Emissionen hinzukommen, die ebenfalls reduziert werden müssten. Die Mitfinanzierung von Klimaprogrammen im Ausland wäre, wie Jürg Staudenmann (Alliance Sud) verdeutlicht, nicht als Mittel zur Verbesserung der nationalen CO2-Bilanz, sondern als Ausdruck globaler Mitverantwortung zu verstehen. Die Massnahmen sollten konkret zur Dekarbonisierung der Wirtschaft, aber auch zur Anpassung an den Klimawandel beitragen. Dabei seien die entwicklungspolitischen Grundsätze zu respektieren, namentlich die Ansprüche der lokalen Bevölkerung zu wahren. Auch wenn Klimaschutz und Verbesserung der Lebensbedingungen oft ineinandergreifen, müssen nach den Forderungen von NGOs die beiden Ziele und auch die Budgets voneinander unterschieden werden. Statt 400 Millionen Franken pro Jahr im Rahmen der Entwicklungskredite wäre eine separate Klima-Milliarde angemessen.
Chancen für Solarenergie
In armen Ländern, um die es im zweiten Teil des Bandes geht, sollte trotz oder mit der Energiewende auch eine Verbesserung der Lebensbedingungen ermöglicht werden. Drei konkrete Beispiele: In Brasilien lässt sich rentabel Biogas aus Schweinegülle gewinnen; die Deza hat für Indien den offiziellen Standard für energieeffizientes Bauen entwickelt, auch mit Blick auf den Energieverbrauch von Klimaanlagen; die Caritas kombiniert in mehreren Ländern den Einsatz holzsparender Öfen und Kochherde mit einer nachhaltigen Landnutzung, speziell Agroforstwirtschaft, die auch institutionell, durch partizipative Entscheidungsmechanismen, abgesichert wird.
In Afrika besteht nicht nur ein rasch wachsender Bedarf nach Strom, einem Schlüsselfaktor der Entwicklung, sondern auch ein enormes Potenzial an Solarenergie. Heute dominiert bei weitem noch die fossile Produktion. Vier Bundesämter fördern über die Plattform Repic Projekte, auch privatwirtschaftliche, zur Nutzung erneuerbarer Energie. Solafrica, ein Spin-off von Greenpeace, widmet sich der Ausbildung von Technikern und der Stromversorgung von Gesundheitszentren. Grössere Dimensionen hat «Energising Development», ein Programm mehrerer europäischer Länder einschliesslich der Schweiz.
In der Tat genügen kleine, punktuelle Projekte nicht, zumal sich die Sonnenenergie zwar gut für dezentrale Lösungen eignet, aber auch grössere Anlagen und Netze zu errichten sind. Anja Berretta und Mathias Kamp (Konrad-Adenauer-Stiftung) stellen eine entsprechende Agenda auf. Kurz erwähnen sie auch die Forderung nach Ausgleichszahlungen für die Nichtnutzung fossiler Energieträger. In dieser Frage sind auch die Erfahrungen Nigerias zu bedenken: Der gewaltige Ölexport führte, wie Robert Kappel (Universität Leipzig) schreibt, zu einem «Wachstum ohne Entwicklung». Landwirtschaft und Industrie wurden vernachlässigt, Benzin muss zu einem grossen Teil importiert werden, Strommangel behindert die Wirtschaft. Nun arbeitet Nigeria mühsam an einer Transformation, um sich aus der Abhängigkeit von dem ambivalenten Rohstoff zu befreien – eine Art Gegenstück zur Überwindung unserer Abhängigkeit von dessen Konsum.
Almanach Entwicklungspolitik 2022. Klimaschutz und Energiewende. Verantwortlich: Manuela Specker. Caritas-Verlag, Luzern 2021. 242 S., Fr. 39.-.
Caritas Schweiz unternimmt mit ihrem «Almanach Entwicklungspolitik 2022» den notwendigen und schwierigen Versuch, Klimapolitik und Nord-Süd-Ausgleich zusammen zu betrachten sowie Wachstumskritik und Engagement in der Armutsbekämpfung zu verbinden. Unter dem Titel «Klimaschutz und Energiewende» befassen sich Autorinnen und Autoren aus NGOs, Verwaltung, Wissenschaft und Publizistik einerseits mit der Eigenverantwortung der wohlhabenden Länder, anderseits mit Problemen und Lösungsansätzen in Entwicklungsregionen.
Mehr als ein technisches Problem
Dass viel Aufmerksamkeit vorerst der Klimapolitik des globalen Nordens «im eigenen Haus» gilt, rechtfertigt sich damit, dass dort der grösste Teil der weltweiten Treibhausgasmengen ausgestossen wird, während im globalen Süden die Folgen des Klimawandels wie der Verlust von nutzbarem Land oft unmittelbar an die Existenzgrundlagen der breiten Bevölkerung rühren. Für die Caritas geht es um «Klimagerechtigkeit»; eine nüchterne Sachlogik könnte indes zu ähnlichen Schlüssen führen. Zu beachten wäre zwar auch die gewichtige Rolle der wirtschaftlich aufsteigenden Länder in Asien. Doch ändert dies grundsätzlich nichts an der Aufgabe von Staaten wie der Schweiz, eine Wende zu bewerkstelligen, und diese müsste je später, desto schärfer sein.
In mehreren Beiträgen wird festgehalten, dass neue Technologien nicht genügten und dass speziell Effizienzsteigerungen mit dem Mengenwachstum oft nicht Schritt hielten, wenn sie dieses nicht sogar erleichterten. Die Rede ist daher auch von «Suffizienz», Genügsamkeit, und System-Innovation im Sinn einer weniger auf Wachstum ausgerichteten Wirtschafts- und Lebensweise. Ion Karagounis (WWF) skizziert einige Mittel und Wege zu einer Ökonomie «innerhalb der planetaren Grenzen» und lässt nur demografische Fragen (Wachstum, Alterung, Migration) auf der Seite. Als grösste Herausforderung bezeichnet er die soziale Frage, die mit Verteilproblemen und Absicherungsbedürfnissen verbunden ist. Die Finanzierung von Sozialausgaben durch höhere staatliche Schulden, wie es Dominik Gross (Alliance Sud) für die Schweiz postuliert, wäre allerdings kaum als nachhaltig zu betrachten.
Auslagerung ist kein Ausweg
Bei der Vermeidung von Treibhausgasemissionen setze die Schweiz ihre Ambitionen faktisch «extrem tief», schreibt Georg Klingler Heiligtag (Greenpeace). Dies gelte umso mehr, als sie auch Massnahmen im Ausland einrechnen will – obschon zum Inland-Ausstoss etwa doppelt so viele in Importprodukten steckende Emissionen hinzukommen, die ebenfalls reduziert werden müssten. Die Mitfinanzierung von Klimaprogrammen im Ausland wäre, wie Jürg Staudenmann (Alliance Sud) verdeutlicht, nicht als Mittel zur Verbesserung der nationalen CO2-Bilanz, sondern als Ausdruck globaler Mitverantwortung zu verstehen. Die Massnahmen sollten konkret zur Dekarbonisierung der Wirtschaft, aber auch zur Anpassung an den Klimawandel beitragen. Dabei seien die entwicklungspolitischen Grundsätze zu respektieren, namentlich die Ansprüche der lokalen Bevölkerung zu wahren. Auch wenn Klimaschutz und Verbesserung der Lebensbedingungen oft ineinandergreifen, müssen nach den Forderungen von NGOs die beiden Ziele und auch die Budgets voneinander unterschieden werden. Statt 400 Millionen Franken pro Jahr im Rahmen der Entwicklungskredite wäre eine separate Klima-Milliarde angemessen.
Chancen für Solarenergie
In armen Ländern, um die es im zweiten Teil des Bandes geht, sollte trotz oder mit der Energiewende auch eine Verbesserung der Lebensbedingungen ermöglicht werden. Drei konkrete Beispiele: In Brasilien lässt sich rentabel Biogas aus Schweinegülle gewinnen; die Deza hat für Indien den offiziellen Standard für energieeffizientes Bauen entwickelt, auch mit Blick auf den Energieverbrauch von Klimaanlagen; die Caritas kombiniert in mehreren Ländern den Einsatz holzsparender Öfen und Kochherde mit einer nachhaltigen Landnutzung, speziell Agroforstwirtschaft, die auch institutionell, durch partizipative Entscheidungsmechanismen, abgesichert wird.
In Afrika besteht nicht nur ein rasch wachsender Bedarf nach Strom, einem Schlüsselfaktor der Entwicklung, sondern auch ein enormes Potenzial an Solarenergie. Heute dominiert bei weitem noch die fossile Produktion. Vier Bundesämter fördern über die Plattform Repic Projekte, auch privatwirtschaftliche, zur Nutzung erneuerbarer Energie. Solafrica, ein Spin-off von Greenpeace, widmet sich der Ausbildung von Technikern und der Stromversorgung von Gesundheitszentren. Grössere Dimensionen hat «Energising Development», ein Programm mehrerer europäischer Länder einschliesslich der Schweiz.
In der Tat genügen kleine, punktuelle Projekte nicht, zumal sich die Sonnenenergie zwar gut für dezentrale Lösungen eignet, aber auch grössere Anlagen und Netze zu errichten sind. Anja Berretta und Mathias Kamp (Konrad-Adenauer-Stiftung) stellen eine entsprechende Agenda auf. Kurz erwähnen sie auch die Forderung nach Ausgleichszahlungen für die Nichtnutzung fossiler Energieträger. In dieser Frage sind auch die Erfahrungen Nigerias zu bedenken: Der gewaltige Ölexport führte, wie Robert Kappel (Universität Leipzig) schreibt, zu einem «Wachstum ohne Entwicklung». Landwirtschaft und Industrie wurden vernachlässigt, Benzin muss zu einem grossen Teil importiert werden, Strommangel behindert die Wirtschaft. Nun arbeitet Nigeria mühsam an einer Transformation, um sich aus der Abhängigkeit von dem ambivalenten Rohstoff zu befreien – eine Art Gegenstück zur Überwindung unserer Abhängigkeit von dessen Konsum.
Almanach Entwicklungspolitik 2022. Klimaschutz und Energiewende. Verantwortlich: Manuela Specker. Caritas-Verlag, Luzern 2021. 242 S., Fr. 39.-.
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