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Entwicklungszusammenarbeit: Rückschritt ins Jahr 2003 vermeiden

von Daria Zanni und Patrick Stadler* | August 2023
Wie soll die Schweiz Armut und Klimawandel bekämpfen? Fragen auf diese Antwort liefert die Strategie Internationale Zusammenarbeit (IZA) 2025-28 der Schweiz, die sich derzeit in Vernehmlassung befindet. Die Strategie soll ein Blick in die Zukunft sein, faktisch droht jedoch ein Rückschritt um 20 Jahre.

So prognostiziert der Bund eine so tiefe Quote für öffentliche Entwicklungshilfe (aide publique au développement APD, ohne die variablen Asylkosten) am Bruttonationaleinkommen (BNE) wie 2003: 0.36%. Die Quote lag in den vergangenen 10 Jahren durchschnittlich bei 0.42%. Ein massiver Rückgang auf 0.36% ist besonders problematisch, da die extreme Armut im Nachgang der Covid-Pandemie wieder zugenommen hat und sich globale Herausforderungen wie der Klimawandel akzentuieren.

Ukraine-Hilfe nicht auf Kosten der Ärmsten

Für die ärmsten Länder ist der Rückgang auch daher verheerend, da die neue Strategie 1.5 Milliarden, ganze 13% der IZA-Verpflichtungsmittel, für die Ukraine reservieren will. Bisher machten die grössten Empfänger von Schweizer Entwicklungszusammenarbeit je rund 1% des Kredits aus. Selbstverständlich ist eine Unterstützung der Ukraine während und nach dem Krieg zentral. Der Krieg in der Ukraine stellt eine ausserordentliche Situation für ganz Europa inklusive der Schweiz dar. Die Unterstützung der Ukraine ist nur schwer plan- und voraussehbar und kann daher im Bundeshaushalt ausserordentlich anstatt über die Internationale Zusammenarbeit verbucht werden. Nur so geht die wichtige Unterstützung für die Ukraine nicht auf Kosten der Menschen in extremer Armut.

Stärkung evidenzbasierter Zusammenarbeit

Auch wenn die Entwicklungszusammenarbeit im Vergleich zu anderen Ausgabenbereichen des Bundes vergleichsweise gut evaluiert wird, besteht weiteres Potenzial. Die DEZA kann vermehrt Evaluationen durchführen, die auf wissenschaftlichen Methoden beruhen und die kausalen Wirkungszusammenhänge eines Projekts/Programms empirisch untersuchen, sogenannte Impakt-Studien.

Beispiel: Die Organisation Vivamos Mejor wollte herausfinden, ob die Kombination von traditioneller Berufsbildung und Soft Skills Training (Youth Empowerment) für 300 marginalisierte Jugendliche in Kolumbien zu einer besseren Arbeitsintegration führt als die Bereitstellung von traditioneller Berufsbildung allein. Eine normale Studie würde messen, wie viele Jugendliche am Ende der Intervention eine Stelle finden und ihr Einkommen verbessern, und die positiven Resultate ungeachtet verschiedener externer Faktoren (z.B. Konjunktur) dem Erfolg des Projekts zuschreiben.

Die durchgeführte Impakt-Studie hingegen stellte drei Gruppen einander gegenüber: eine Gruppe, die das kombinierte Programm erhielt, eine weitere, die nur das traditionelle Berufsprogramm erhielt, sowie eine dritte, die noch kein diesbezügliches Programm erhalten hatte. Durch den Vergleich der Gruppen konnte die Studie kausal nachweisen, dass das kombinierte Programm positive Auswirkungen auf das formelle und informelle Einkommen sowie die Arbeitsmarktbeteiligung der Jugendlichen hatte, dass die Begünstigten dadurch mehr Geld verdienten, unabhängig davon, ob sie sich im formellen oder informellen Arbeitsmarkt befanden, und dass das klassische Berufsbildungsprogramm keinen positiven Effekt auf das Einkommen hatte. Mit der Studie konnte also bestätigt werden, dass der kombinierte Ansatz entscheidend und das klassische Berufsbildungsprogramm allein hingegen nicht wirksam ist. Gerade in Bereichen, wo längerfristig viel Geld investiert wird, sollen solche Impakt-Studien häufiger zur Anwendung kommen. Denkbar ist auch eine Mindestanzahl an Impakt-Studien pro Jahr. Neben neuen Studien soll die bestehende Evidenz besser genutzt werden. Bisherige Erkenntnisse können noch stärker in die Projektplanung einfliessen, etwa durch eine Evidenz-Hotline und Datenbank für Projektmanager.

Neues Schwerpunktthema Gesundheit auch finanziell stärken

Gesundheit ist neu ein Schwerpunktthema der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit. Dies ist entscheidend, da die weltweiten Gesundheitsbedürfnisse im Nachgang der Pandemie gestiegen sind. Mehr Kinder bleiben ungeimpft und unbehandelt. Zudem liegt die globale Gesundheit angesichts von grenzüberschreitenden Epidemien und dem Forschungs- und Wirtschaftsplatz Schweiz auch in unserem Eigeninteresse. Nun gilt es sicherzustellen, dass Gesundheit nicht nur ein Schwerpunktthema wird, sondern die Finanzierung solide ist und an die Pandemiejahre 2020-22 anknüpft.

 Mittel für die ärmsten Länder zur Verfügung stellen

Der Anteil für die am wenigsten entwickelten Länder (least developed countries, LDCs) bleibt ungenügend und muss auf die international anerkannte Quote von 0.2% ansteigen. In den letzten fünf Jahren stagnierte die Schweizer Quote zwischen 0.13-0.14%, liegt also 30-35% unter dem Zielwert. Geografisch ungebundene Mittel sollen primär in LDCs eingesetzt werden. Die für das neue Partnerland Marokko vorgesehenen Mittel könnten für das bestehende Engagement in LDCs verwendet werden. Denn: Ein Franken, der im Kontext der EZA beispielsweise nach Burundi fliesst, führt aller Voraussicht nach zu einem höheren Nutzen als in Marokko, da die Rate extremer Armut und BIP pro Kopf in Burundi bei 65% bzw. einem pro-Kopf-BIP von 238 USD, bei Marokko hingegen bei 1.4% bzw. 3’500 USD liegen.

Die Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz hat international zu Recht einen sehr guten Ruf. Bezüglich ihrer Priorisierung besteht aber noch Potential.

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*Daria Zanni und Patrick Stadler sind als Koordinatorin und als Berater für die gemeinnützige Organisation Coopération Globale tätig, welche sich für eine starke Entwicklungszusammenarbeit zugunsten der Ärmsten der Welt einsetzt.