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Friedensdienst in Korea: trotz allem ein Muster

von Christoph Wehrli | März 2024
Seit dem Ende des Koreakriegs 1953 ist die Schweiz Mitglied der Kommission zur Überwachung des Waffenstillstands. Das Engagement - Beispiel für eine Neutralität im Dienst des Friedens - reduzierte sich unter den gegebenen Umständen rasch auf eine symbolische Rolle, hat in den letzten Jahren aber wieder eine konkretere Bedeutung erhalten. Heute erscheinen Einsätze in der militärischen Friedensförderung unvermindert erwünscht.

Die Forschungsstelle Diplomatische Dokumente der Schweiz (Dodis) hat zur Geschichte der Neutral Nations Supervisory Commission (NNSC) in Korea einen umfang- und aufschlussreichen Band mit schweizerischen Quellen aus der Zeit von 1951 bis 1995 publiziert und gemeinsam mit Swisspeace an einer Tagung auch nach politischen Schlüssen aus dem ältesten und bisher längsten friedensfördernden Einsatz der Armee gefragt. Die Mitwirkung an der Stabilisierung in Korea, wo der Krieg zwischen Nord- und Südteil, China und den USA etwa vier Millionen Todesopfer gefordert hatte, ist ein bekanntes Beispiel Guter Dienste, illustriert aber auch, wie heikel und wie beschränkt solche sein können.

1951: Bern kann nicht Nein sagen

Als die USA – die führende Macht der damaligen UNO-Interventionstruppen – im Dezember 1951 bei der Schweiz und Schweden bezüglich Überwachungskommission sondierten, sah im Bundesrat der Chef des Militärdepartements, Karl Kobelt, eine Chance, die internationale Nützlichkeit eines (nach dem Weltkrieg isoliert dastehenden) neutralen Staats zu beweisen, während gerade Aussenminister Max Petitpierre, der an sich Wert auf eine solche Solidarität legte, vorerst Probleme bedachte: Da die Gegenseite die Tschechoslowakei und Polen, zwei am Koreakrieg nicht beteiligte, aber damals dem kommunistischen Ostblock angehörende Staaten, für die NNSC vorschlug, drohte die permanente Neutralität diskreditiert und der Vierergruppe die Erfüllung ihrer Aufgabe stark erschwert zu werden. Später sprach der Rechtsberater Rudolf Bindschedler von einer unzulässigen Parteinahme, da Südkorea den Waffenstillstand nicht unterzeichnen wollte.

Grundsätzlich reagierte Bern aber sogleich positiv, und die «unangenehme Geschichte» (Petitpierre) liess kaum mehr eine Absage zu. Vor dem formellen Entscheid betonte Bern gegenüber Washington, dass die Aufgabe unabhängig und unparteilich wahrgenommen werden solle. Amerika kam übrigens für den grösseren Teil des Aufwands auf, namentlich für Transporte, Unterkunft und Verpflegung der ursprünglich 96 Mann starken Militärdelegation mit Hauptquartier in Panmunjom.

Festhalten an einem Symbol

Eine wirksame Überwachung des Waffenstillstands erwies sich rasch als Illusion. Die Kontrolle musste sich primär auf zehn Umschlagplätze beschränken und litt unter «der systematischen Obstruktion der Nordseite und ihrer Wortführer in der NNSC», wie das Politische Departement (heute EDA) 1959 festhielt. 1956/57 berichtete der Delegationschef allerdings auch von lähmenden südkoreanischen Sicherheitsmassnahmen (gegen gesteuerte gewaltsame Demonstrationen), und formell suspendierten damals die USA unter Verweis auf nordkoreanische Rüstungsimporte einen Teil ihrer Pflichten. In der Folge wurden die Inspektionen auf beiden Seiten eingestellt und nur noch Berichte der Parteien «analysiert». Die Schweiz reduzierte den Bestand ihrer Equipe bis 1959 schrittweise auf neun Personen; heute sind es noch fünf.

Der Bundesrat wünschte sich zwar bald eine Beendigung des Mandates, schreckte jedoch vor einem einseitigen Ausstieg zurück. Gegen einen solchen sprachen nun gerade neutralitätspolitische Gründe, zum Beispiel 1955, da die USA die Auflösung der NNSC anstrebten. Stets wollte man die Verantwortung dafür vermeiden, dass ein Element der ganzen Waffenstillstandskonstruktion wegfallen könnte. Dementsprechend wurde die symbolische Bedeutung der Kommission immer wieder positiv hervorgehoben. Man suchte einen Ausgleich in diplomatischen Funktionen – Delegationschef war von 1954 bis 2007 jeweils ein Diplomat (in Divisionärsuniform), und man pflegte zeitweise mit beiden Seiten gute Beziehungen. Doch was aus der «mission non-écrite de contacts entre les belligérants» konkret resultierte, bleibt etwas unklar. Am besten gelang es, mit gesellschaftlichen Veranstaltungen das Eis zu brechen.

Tiefpunkt und Neuanfang nach 1989


Paradoxerweise führte die Wende von 1989 zu einer weiteren Schwächung der Kommission. Die nun westlich orientierten Tschechen und Polen wurden von Nordkorea aus dem Land gedrängt, nur noch von Zeit zu Zeit stiess eine polnische Delegation zu den Schweizern und Schweden, so dass die NNSC formell beschlussfähig blieb. Mit angepassten Aufgaben kehrte sie später wieder in den militärischen Bereich zurück: Sie beobachtet seither grosse Manöver in Süden, schult südkoreanische Militärs im Verhalten bei Zwischenfällen in der Grenzzone und begleitet die Untersuchung von Verletzungen des Waffenstillstands. An der oben erwähnten Veranstaltung an der Universität  Bern hob Urs Gerber, von 2012 bis 2017 Chef der Delegation und für die betreffenden Verhandlungen zuständig, hervor, dass die nur im Süden mögliche Tätigkeit Transparenz schaffe und so ein wichtiges Signal an die Nordseite sende. Zugleich werde die NNSC nun auch in Seoul akzeptiert.

Die Nische vermehrt nutzen

An der von Swisspeace-Direktor Laurent Goetschel geleiteten Tagung würdigte Bundespräsidentin Viola Amherd, Chefin des VBS, den Einsatz in Korea als Beitrag zur Dauerhaftigkeit des Waffenstillstands. Friedensförderung sei kein Metier des schnellen Erfolgs. Ihre militärische Form könne Voraussetzungen für die Anwendung ziviler Instrumente schaffen. Für die Schweiz sieht Amherd heute gerade insofern eine wichtige Nische, als sie mit hochwertigen Leistungen auf diesem Gebiet ihre Partner, die sich auf die Ostflanke der Allianz konzentrierten, entlasten könne.

Sacha Zala, Geschichtsprofessor und Direktor von Dodis, bot einen Rückblick auf das Engagement in Ostasien und die wechselnde Rolle des Neutralitätsprinzips. An Ort und Stelle zählt allerdings die Unparteilichkeit - eine langfristige, faire und objektive Arbeit, wie Peter Semneby, Sonderbeauftragter Schwedens für Korea, sagte. Dass sein Land nicht mehr neutral ist, habe in Pjongjang und Peking offenbar keine Befürchtungen geweckt. Ihren Beitrag zur Risikominderung durch Vertrauensbildung und Dialog leiste die NNSC heute in einer Lage, die mehr Besorgnis errege denn je, zumal während der Pandemie fast alle Kontakte zum Norden abgebrochen worden seien.

In der Schweiz hat sich die militärische Friedensförderung trotz dem Rückschlag bei der ersten Abstimmung über Blauhelme (1994) breiter etabliert. Nach Angaben von Joachim Adler vom Staatssekretariat für Sicherheitspolitik sind gegenwärtig 280 Armeeangehörige in einem solchen Einsatz, zwei Drittel davon in Kosovo, die anderen als Einzelpersonen in verschiedenen Spannungsgebieten. Die Rückkehr der Blockbildung und der Machtpolitik schwächt heute aber Organisationen wie die UNO oder die OSZE, und das Schweizer Gesetz verlangt ein Mandat von einer dieser beiden. Gleichzeitig besteht nach Sara Hellmüller vom ETH-Zentrum für Sicherheitsstudien ein Trend weg von multidimensionalen, mit Zielen überladenen Missionen hin zu pragmatischen Aktionen, die politisch weniger Risiken bergen und erwiesenermassen wenigstens zum «negativen Frieden», zur Eindämmung der Gewalt, beitragen.

Zwei Ständerätinnen sprachen sich ihrerseits für eine stärkere Beteiligung an

der internationalen Friedensförderung aus. Marianne Binder-Keller (Mitte) wie auf die Chance hin, sich durch militärische Engagements mit Partnern der europäischen Sicherheitsarchitektur zu vernetzen, auf die die Schweiz angewiesen sei. Franziska Roth (SP) erinnerte an das vor zehn Jahren gesteckte Ziel von 500 Armeeangehörigen im Auslandeinsatz und möchte die Kompetenz für kleine Missionen generell dem Bundesrat übertragen. Als Leitbegriff diene ihr weniger die Neutralität, die sich nationalistisch missbrauchen lasse, als das Völkerrecht.

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 Sacha Zala, Yves Steiner und Dominik Bär (Hg.): Die Schweiz und die NNSC. Diplomatische Dokumente der Schweiz zur Geschichte der Neutral Nations Supervisory Commission in Korea 1951-1995. Quaderni di Dodis 21, Bern 2023. 412 S., Bestellung und Gratis-Download: www.dodis.ch