Wochenrückblick

Schweiz im Sicherheitsrat / KW 24

von Johann Aeschlimann | June 2023
Jemen: Der Rat liess sich hinter geschlossenen Türen vom UNO-Sondergesandten und vom Chef der UNO-Nothilfe unterrichten.

Tribunale: Das Nachfolgegebilde der UNO-Sondertribunale für Verbrechen gegen die Menschlichkeit im ehemaligen Jugoslawien und in Ruanda (International Residual Mechanism for Criminal Tribunals) steht vor dem Abschluss seiner Arbeit, nicht aber seiner Tätigkeit. Die Präsidentin berichtete, dass der letzte hängige Fall aus Ex-Jugoslawien erledigt sei. Aus Ruanda bleibt ein Fall hängig, der wegen Prozessunfähigkeit des Angeklagten nicht abgeurteilt werden kann und auf eine noch zu definierende Weise abgeschlossen werden soll. Das bedeutet nicht, dass alle einschlägigen Verbrechen geahndet sind. Sowohl in Ex-Jugoslawien als auch in Ruanda sind hunderte von Fällen nicht den Gerichten zugeführt, weil die Behörden dazu nicht willig sind (die Mechanismus-Präsidentin griff Serbien an) oder mutmassliche Täter flüchtig sind. Die zukünftige Tätigkeit des Mechanismus soll nationale Justizbehörden unterstützen und dafür sorgen, dass das erarbeitete Wissen nicht verloren geht. Wie, wird geprüft. Die Schweiz erklärte, für die Schaffung dauerhafter Friedenslösungen sei es unabdingbar, Kriegsverbrecher zur Rechenschaft zu ziehen. Dabei müsse die nationale Gerichtsbarkeit mit dem Mechanismus nach dem Prinzip der «Komplementarität» zusammenarbeiten. Die Schweiz äusserte sich vivement préoccupée  über «Hassreden, Glorifizierung von Kriegsverbrechern, Umschreibung von Geschichte und Desinformation» im Westbalkan.

Klima: Der Zusammenhang zwischen Klimaveränderungen und Konflikt war Gegenstand einer ganztätigen Debatte, an der sich über 70 Staaten beteiligten. Der Tenor: Die UNO muss mehr tun, namentlich die Missionen vor Ort sollen Klimafragen systematischer in ihre Tätigkeit einbinden. In 9 der 16 am meisten gefährdeten Länder sind UNO-Missionen stationiert, um Konflikte lösen zu helfen. Ob sich der Sicherheitsrat der Klimafrage annehmen soll, ist indessen nicht unbestritten. Die meisten Staaten sprachen sich dafür aus. Aber Brasilien, Indien erklärten, die geeigneten Foren seien das Pariser Abkommen und die UNO-Klimakonferenzen (Russland, das vor zwei Jahren eine Resolution mit dem Veto belegt hat, stiess ins gleiche Horn). Für die Schweiz seien «Klimasicherheit und nachhaltiger Frieden untrennbar», erklärte die abtretende Staatssekretärin Livia Leu. Die Arbeit des Sicherheitsrats und die Umsetzung des Pariser Abkommens seien «komplementär». Wenn der Sicherheitsrat sein Mandat der Aufrechterhaltung des Friedens erfüllen wolle, komme er um die Klimafrage nicht herum. . Im Anschluss an die Sitzung traten die Ratsmitglieder Albanien, Gabon, Ghana, Malta, Mosambik, Schweiz und Vereinigte Arabische Emirate vor die TV-Kamera am Eingang, um eine Erklärung vorzulesen. Darin wird der gemeinsame Wille bekräftigt, «diese Agenda voranzutreiben».

Brüderlichkeit: Im Mai hatte die Schweiz als Präsidentschaftsland das verlorene “Vertrauen” in der Welt zur Diskussion gestellt, im Juni zogen die Vereinigten Arabischen Emirate  mit der hochzuhaltenden «Brüderlichkeit» nach. Anlass war eine gemeinsame Erklärung des Papstes und des Gross-Imams der moslemischen Al-Azhar-Institution in Kairo mit dem Titel “Menschliche Brüderlichkeit für Weltfrieden und Zusammenleben». Der UNO-Generalsekretär prangerte die Verbreitung von Hass in den sozialen Medien an. Der Vertreter des Papstes warnte vor der Rückkehr von «einseitigen, extremistischen, ressentimentgeladenen und aggressiven Nationalismen». Der Gross-Imam erklärte, die Auffassung des Islam als aggressiver “Religion des Schwerts» sei falsch. Krieg sei im Islam nur zur Selbstverteidigung rechtens. Alle heiligen Schriften lehrten, dass Gott die Unterschiede unter den Menschen geschaffen habe, damit sie lernten, mit diesen Unterschieden zu leben, sagte der Gross-Imam. Die Schweiz verurteilte Diskrimination, Hass und gewalttätigen Extremismus und forderte online und offline Respekt für die Menschenrechte und einen «offenen Raum» für die Meinungsfreiheit aller. Der Schweizer Vertreter erlaubte sich einen gender-bewussten Seitenhieb: «Die Schweiz wird sich weiterhin dafür einsetzen, dass der Begriff «Brüderlichkeit», der durch die heutige Debatte hervorgehoben wird, alle einschliesst, auch Frauen und Mädchen, ungeachtet ihrer sexuellen Orientierung».

Hassreden: Der Sicherheitsrat hat einstimmig eine Resolution verabschiedet, welche alle Staaten auffordert, sich gegen «Gewalt, Hassrede und Extremismus» zu wenden und der Verbreitung von «intoleranten Ideologien» und «Anreiz zum Hass» vorzubeugen.  Die Schweiz erklärte nach der Abstimmung, sie habe «im Geist des Kompromisses» zugestimmt, weil sie die Vorbeugung gegen die genannten Phänomene für wichtig halte. Aber sie machte einen Vorbehalt: Der Text lasse Spielraum für staatliche Massnahmen gegen die freie Meinungsäusserung, weil er nicht von «gewalttätigem Extremismus», sondern allgemein von «Extremismus» spreche. «Extremismus sollte benutzt werden, um Handlungen zu beschreiben, nicht Ideen". Er bedauerte, dass der Text nicht auf den «Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte», ein Basisdokument, verweist.

Nordkorea: Der von der Schweiz präsidierte Sanktionsausschuss hat die Richtlinien für die Tätigkeit humanitärer Nichtregierungsorganisationen in Nordkorea aufdatiert. Das Dokument soll klarstellen, unter welchen Bedingungen Ausnahmen vom strikten UNO-Sanktionsregime gewährt werden und so die Lieferung von humanitärer Hilfe an Nordkorea erleichtern soll.

Sudan: Bei der vierteljährlichen Berichterstattung des Darfur-Sanktionsausschusses erklärte der Vertreter der sudanesischen Regierung, die Beziehungen zu den Nachbarländern seien «ruhig», «stabil» und «sicher» - trotz der anhaltenden Kämpfe zwischen Armee und Gegen-Armee und neu aufgeflammten älteren Konflikten (der Chef der UNO-Nothilfe warnt, in Darfur drohe erneut ein «menschlichs Unglück»). Der sudanesische Vetreter erklärte, die UNO-Sanktionen (Waffenembargo, Reisebeschränkungen) hätten der Regierung die Hände gebunden, in Darfur gegen «Rebellen und Milizen» vorzugehen, die weiterhin aktiv seien und von «ausländischen Elementen» unterstützt würden.

Mali: Der Rat verhandelt über eine Erneuerung des Mandats für die Blauhhelmmission MINUSMA, das Ende Monat ausläuft, aber die Militärregierung in Bamako will davon nichts mehr wissen. Der Vertreter der Militärregierung erklärte, MINUSMA sei «Teil des Problems» geworden. Er verlangte den «sofortigen Abzug» der Mission. MINUSMA war 2013 geschaffen worden, um die malische Regierung für den Kampf gegen islamistische Gruppen im Norden zu stärken. In der Zwischenzeit wurde die Regierung vom Militär gestürzt, das russische Wagner-Söldner beigezogen hat und die UNO-Blauhelme auf Distanz hält. Insbesondere wird der UNO-Mission bei der  Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen die Hände gebunden. Mehrere europäische «Truppensteller», so Frankreich und Deutschland, haben sich zurückgezogen. Die Schweiz unterstützte eine  Verlängerung des MINUSMA-Mandats, weil der seinerzeit abgeschlossene Friedens- und Versöhnungsvertrag weiterhin umgesetzt werden müsse und die Unterstützung der UNO brauche: «Wir wollen und können nicht neun Jahre Arbeit verlieren». Die Schweiz sprach sich aber auch dafür aus,  «die Aufgaben der Mission mit den heutigen Realitäten in Einklang zu bringen». Sie verlangt, die «anhaltenden» Berichte über Menschen- und Kriegsrechtsverletzungen unabhängig abklären zu lassen und vor Gericht zu bringen.

Schweizer Beiträge

Toleranz

Brüderlichkeit

Klima

Klima gemeinsame Presseerklärung

Tribunale

Mali
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