Meinungsbeitrag

Schweizer Parteien zur Ukraine: Zwei Meinungen, vier Enthaltungen

von SGA ASPE | Februar 2023
Eine Nuklearmacht führt auf unserem Kontinent einen «konventionellen» Krieg von Armee gegen Armee, löst die grösste Fluchtbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg und eine globale Ernährungs- und Hungerkrise aus. Wir fragten die Präsident:innen der Schweizer Bundesratsparteien (SVP, SP, FDP und Mitte) sowie der Grünen und Grünliberalen, welche Lehren die Schweiz aus der neuen Lage ziehen sollte. Zwei – SP und Grüne – haben reagiert. Nachstehend ihre Antworten.

Muss die Schweiz aus dem Ukraine-Krieg militärische und strategische Lehren ziehen. Wenn ja: welche? Wenn nein: Warum nicht?

Grüne (Balthasar Glättli): Ja. Militärisch werden sich vor dem Ende des Krieges keine definitiven Lehren ziehen lassen: heute sind wenig wirklich unabhängige Informationen verfügbar. Strategisch müssen wir uns von fossilen Energien befreien. Die Zeiten, da Schweizer Aussenpolitik vorab Aussenhandelspolitik war, müssen ein Ende finden. Das heisst: aktive Friedenspolitik und Sanktionen zur Durchsetzung des Völkerrechts statt sicherer Hafen für Autokraten-Gelder. Engagement für Konzernverantwortung statt undurchsichtiger Rohstoffhandelsplatz, der Putins und andere Kriegskassen füllt.

SP Schweiz (Mediensprecher): Der Ukraine-Krieg zeigt, wie sehr die Sicherheit der Schweiz von der Sicherheit Europas abhängt. Das Bild einer Schweizer Armee, die autonom das Land verteidigt, entspricht schlicht nicht der Realität. Es geht aber nicht nur um die Sicherheit der Schweiz, sondern auch um ihren Beitrag zum Frieden: Den primären Hebel der Schweiz sehen wir hierbei weiterhin in der Verhinderung der Finanzierung des Krieges und der humanitären Hilfe.

Muss die Schweiz ihre Neutralität modifizieren oder aufgeben, oder muss sie ihre Neutralitätspolitik kodifizieren? Wenn ja: wie? Wenn nein: Warum nicht?

Grüne (Balthasar Glättli): Eine Debatte um Form und Zweck unserer Neutralität tut tatsächlich Not. Einerseits liegen Welten zwischen der Neutralität des Geldsacks der SVP, und der aktiven Neutralität einer solidarischen Aussenpolitik, die nicht nur vermittelt, sondern sich klar auf die Seite des Völkerrechts stellt. Andererseits muss die Politik sich auch fragen, wieviel die Neutralität zu dieser solidarischen Aussenpolitik tatsächlich beiträgt und ob sie dafür zwingend ist. Für die GRÜNEN ist klar: Neutralität muss auf die militärische Neutralität im engen Sinne begrenzt sein.

SP Schweiz (Mediensprecher): Die Schweiz kann und soll mehr tun, neben dem Anbieten der Guten Dienste. Aktive Neutralität bedeutet, Anwältin von Völkerrecht und Menschenrechte zu sein. Man ist nicht neutral, wenn man angesichts eines Angriffskrieges nichts macht. Stattdessen ist man dann auf der Seite des Aggressors. Neutralität beginnt zudem weit vor dem Krieg: Wer nicht hinschaut, mit wem er Geschäfte macht, ist nicht neutral. Die Schweiz hat sich aber an das Neutralitätsrecht zu halten, was u.a. die Teilnahme an Kriegen und den Export von Kriegsmaterial aus der Schweiz an in bewaffnete Konflikte involvierte Staaten verbietet.

Soll die Schweiz sich der NATO weiter annähern? Wenn ja: In welcher Form und wie weit? Wenn nein: Warum nicht?

Grüne (Balthasar Glättli): Ich bin gegen eine weitere NATO-Annäherung. Die militärische Neutralität würde dies auch verbieten. Selbst wenn die Schweiz die Neutralität aufgeben sollte, würde ich den Beitritt zu einem Militärbündnis ablehnen, weil dies ein glaubwürdiges Angebot Guter Dienste und eine Vermittlerrolle in der Aussenpolitik massiv erschweren würde. Der Neutralitätsstatus des Sitzstaates Schweiz hat heute auch eine Funktion zur Glaubwürdigkeit und Wirksamkeit des Internationalen Roten Kreuzes – ein Beitritt zu einem Militärbündnis wäre auch hier verheerend.

SP Schweiz (Mediensprecher): Die Schweiz nimmt bereits heute an Partnership-for-Peace-Programmen der NATO teil, das befürwortet die SP. Aber eine stark ausgebaute militärische Zusammenarbeit mit dem Militärbündnis lehnt die SP ab

Zwingt der Ukraine-Krieg zu einer Neubestimmung des Verhältnisses der Schweiz zur EU im Bereich der Aussen- und Verteidigungspolitik?

Grüne (Balthasar Glättli): Die politische, kulturelle und wirtschaftliche Integration der europäischen Staaten stützt den Frieden in Europa. Das Fundament bilden die dazu geschaffenen Institutionen wie die Europäische Union, der Europarat oder der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Dieses Fundament muss gestärkt werden, gerade im Angesicht des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. Die Schweiz ist Teil des europäischen Projekts und soll sich als verlässliche Partnerin in die europäische Gemeinschaft einbringen. Darum unterstützen wir GRÜNEN die Europa-Initiative.

SP Schweiz (Mediensprecher):Die Schweiz braucht eine Stärkung der kollektiven Sicherheitsinstitutionen UNO und OSZE und eine engere Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich mit der EU.