Tag der Aussenpolitik: Eine Globalisierung mit gleichen Rechten

von Christoph Wehrli | Juni 2022
Die Verschiebungen in den bestimmenden Kräften der Weltpolitik und der Weltwirtschaft rufen in den Augen des grünen EU-Parlamentariers Reinhard Bütikofer nach einer Sicherheitspolitik, die neben der militärischen Solidarität auch wirtschafts-, umwelt- und menschenrechtspolitische Dimensionen aufweist. Leitvorstellung ist die Isonomie im Sinn gleicher Rechte aller internationalen Akteure.

In einem per Video übertragenen Vortrag skizzierte Reinhard Bütikofer am Tag der Aussenpolitik eine umfassend verstandene Sicherheitspolitik für Europa, die – entgegen dem heute dominanten Trend – auf einen neuen, faireren Multilateralismus hinausläuft. Dem Begriff der Zeitenwende zog der deutsche EU-Parlamentarier jenen der Wendezeit vor, um den imperialen Schlag Putins und das Scheitern einer «blauäugigen» Politik in den Zusammenhang dreier fundamentaler Verschiebungen zu stellen. Erstens wird eine auf den Prinzipien der Uno-Charta beruhende Welt durch den machtpolitischen Revisionismus Russlands und Chinas bedroht. Zweitens verschieben sich die Sphären im Sinn der Geoökonomie, einer Wirtschaftspolitik im Dienst geopolitischer Ansprüche. Und drittens nimmt Europas Gewicht in der Welt ab, während Asien das Jahrhundert prägen dürfte und mit einem Aufstieg Afrikas zu rechnen ist.

Von Umwelt bis Technologie

Der hegemonialen Haltung Pekings und der «ideologischen» Sicht Washingtons, das den Gegensatz von Demokratie und Autoritarismus betont, stellte Bütikofer eine «europäische Perspektive» gegenüber: den Grundsatz der Isonomie, wonach alle Akteure (Staaten) das gleiche Recht haben, ihre Perspektive zu verfolgen. Die Idee impliziert eine regelbasierte internationale Ordnung – ähnlich dem nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelten Multilateralismus, doch nicht einseitig zum Nutzen der reichen Länder.

Sicherheitspolitik muss nach Bütikofer dementsprechend auch zur Sicherheit der jeweils anderen Parteien beitragen. Auf den Ukraine-Krieg ging der Grünen-Politiker nur insofern ein, als er für strategische Solidarität und mehr Investitionen im Rahmen der Nato plädierte. Besonders betonte er die Mehrdimensionalität der europäischen Sicherheitspolitik. Sie umfasst nach seinen Zielvorstellungen auch die Klimapolitik, einschliesslich Massnahmen gegen billige fossil belastete Importe, die Vermeidung der Abhängigkeit von Chinas Datentechnologie, eine auf Resilienz statt nur Effizienz ausgerichtete Industriepolitik und das Ernstnehmen der Menschenrechte, konkret etwa den Ausschluss von Produkten aus Zwangsarbeit. In all dem müsse Europa gemeinsam handeln, und zwar in der Vielfalt der Akteure von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Wenn einzelne Staaten ein multilaterales Vorgehen blockierten, gelte es flexibel zu sein, pluri- oder bilaterale Wege zu suchen. Über den «Westen» (ein «nostalgischer» Begriff) hinaus sei mit anderen zu teilen, was wir selber wollen.

Schweizer EU-Politik in der Sackgasse

In einem von Markus Mugglin geleiteten Podiumsgespräch wurde die bisherige Globalisierung zwar unterschiedlich beurteilt. Patrick Dümmler (Avenir Suisse und SGA-Vorstand), Nationalrat Eric Nussbaumer (Präsident der Europäischen Bewegung Schweiz und SGA-Vorstand) und die frühere GPS-Präsidentin Regula Rytz bejahten aber alle, dass im Umgang mit den grossen Herausforderungen zwischen der EU und der Schweiz eine Kluft besteht. Die EU reagiere realistischer und rascher, sagte Rytz; in mancher Hinsicht könnte die Schweiz von sich aus ähnlich handeln, es brauche aber auch eine institutionelle Regelung mit der Union. Die Enge des schweizerischen Blicks sieht man indessen gerade auch durch die Mühen von Berns EU-Politik illustriert.

Am Vortag der Veranstaltung hatte der Bundesrat faktisch das Fehlen von Verhandlungsperspektiven bestätigt. Während die einzelnen Unternehmen sich arrangieren könnten und allenfalls einfach mehr direkt im EU-Raum investierten, entstehe volkswirtschaftlich durch die Stagnation ein allerdings schwer messbarer Verlust, sagte Dümmler. «Wir haben uns verrannt», rief Nussbaumer aus und wünschte sich von Mitte-Links die klare Aussage, dass wir uns als europäisches Land verstehen. Zu oft heisse es: Gut, gibt’s die EU – aber mit ihr zu tun haben wollen wir nur ganz punktuell. An eine Lösung der institutionellen und der materiellen Fragen (z.B. Stromabkommen) in einem einzigen grossen «Aufwisch», wie es dem Bundesrat vorschwebt, glaubt Nussbaumer nicht. Inkonsequent erscheint im Übrigen – dies ein Hinweis aus dem Publikum – die Offenheit in FDP und Mitte-Partei Richtung Nato, obwohl es hier um einen grösseren Schritt ginge als bei einer sicherheitspolitischen Zusammenarbeit mit der EU. Immerhin, konstatierte Regula Rytz zum Schluss, habe der Schock des Ukraine-Kriegs die Bereitschaft, über unseren Tellerrand zu schauen, vergrössert.