Meinungsbeitrag

Vereint gegen Europa: SVP, Maillard und der "Blick"

von Daniel Woker* | März 2024
Seit diesem Monat verhandeln die Schweiz und die Europäische Union über eine belastbarere Grundlage ihrer Beziehungen. Noch bevor ein Ergebnis der «Bilateralen III» vorliegt, mobilisiert der innenpolitische Widerstand für ein Nein. Dazu eine Entgegnung.

Trotz klaren Umfrageergebnissen, dass eine deutliche Mehrheit von Schweizerinnen und Schweizer, ebenso wie der Kantonsregierungen eine schnelle Einigung mit der EU wollen, sind Mitte März nach der Verabschiedungs des Verhandlungsmandates durch den Bundesrat primär die EU-Gegner medial mit schwerstem Geschütz aufgefahren. Wo bleiben die lauten Stimmen der Befürworter aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft?

Dass die SVP unter dem populistischen – die Parallele mit amerikanischen Trump-Republikanern erscheint offensichtlich – und auch finanziellen Diktat von Blocher in der Winkelried-Pose gegen die kommenden Bilateralen III gefangen bleibt, ist offensichtlich. SVP-Fraktionschef Aeschi fordert einen Abbruch von Verhandlungen, die ja noch gar nicht wirklich begonnen haben. In einem zweiseitigen Interview im Sonntagsblick – abseits des grossen Publikums hinter der Bezahlschranke - läutete  Noch-SVP-Präsident Chiesa am Vorabend des Verhandlungsbeginns die SVP-Anti-Europa-Kampagne ein. Das alte und müde Lied von einem «Unterwerfungsvertrag» darf dabei natürlich nicht fehlen. Ausgerechnet vom Tessiner Chiesa, dessen Heimatkanton ohne die EU-Wirtschaft, auch in der dynamischen Grossregion Lombardei, das Armenhaus der Schweiz wäre. Von  «Unterwerfung» zu reden ist ebenso lächerlich wie Blochers Lieblingssatz vom angeblichen Kolonial-Vertrag. Die EU-Länder Frankreich, Deutschland, Holland, Spanien, Portugal und Belgien, alle zur Kolonialzeit im Globalen Süden herrschend, wollen die arme kleine Schweiz wie weiland Afrika kolonisieren? You can’t be serious, wie sich John McEnroe jeweils nach falschen Schiedsgerichtsurteilen auf dem Tennisplatz auszudrücken pflegte.

«Nobler Brillenrahmen»


Erstaunlicher wirkt die geballte Breitseite über gegen das EU-Verhandlungsmandat der Schweiz in den redaktionellen Positionen des nach wie vor wichtigsten Meinungsmacher-Mediums der Deutschchweiz, dem Blick. In seiner Ausgabe am Samstag vor Verhandlungsbeginn versenkte das Boulevardblatt die Bilateralen III mit der Schlagzeile auf der Frontseite: «Wer versenkt das neue EU-Paket, schon das Parlament oder erst das Volk?». Auf der zweiten Seite doppelt ein Leitartikel Polit-Chefin der Gruppe nach: «Dieses Mandat ist ein Papiertiger». Tags darauf machte sich der Chefredaktor der gehobeneren Wochenendausgabe, dem Sonntagsblick, über den goldenen Fingerring und den «noblen Brillenrahmen» von EDA-Statssekretär Alex Fasel anlässlich der Pressekonferenz zur Vorstellung des Verhandlungsmandates lustig, anstatt über die grösste Herausforderung an die schweizerische Aussenpolitik, unser Verhältnis zu Europa zu schreiben. Er fordert, ein «junges Gesicht», welches die weitere Öffnung gegenüber Europa in der schweizerischen Öffentlichkeit vertreten sollte. Durchaus zu Recht. Aber man kann von einem Staatssekretär im EDA, der auch über Erfahrung und ein internationales Netzwerk verfügen muss, wohl kaum verlangen, dass er noch ein Twen ist. Womit ja übrigens unser Nachbarland Österreich im Aussenministerium und an der Regierungsspitze gemischte Erfahrungen gemacht hat.

Maillards Spiel mit dem Feuer

Angesichts der absoluten Notwendigkeit eines Verbleibs der Schweiz im europäischen Binnenmarkt, auch und gerade für schweizerische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, macht die Totalopposition der Gewerkschaften – bekanntlich mit der europafreundlichen SP der Schweiz eng und aktuell offensichtlich ungut verbunden – vollends sprachlos. Im Politik-Leitinterview des Sonntagsblicks («Gewerkschaftsboss Maillard, Vater Courage, strotzt vor Kraft») – ebenfalls am Vorabend des Verhandlungsbeginns mit der EU, ebenfalls hinter der Bezahlschranke verborgen - reitet der Gewerkschaftspräsident eine heftige Attacke gegen die absehbaren Bilateralen III. Hier ist nicht nur, entgegen seinen Beteuerungen, die Sorge Maillards um seine Leute, sondern klar auch europafeindlicher Linkspopulismus am Werk. Medientechnisch ist immerhin zu vermerken, dass der Interviewer Maillard durchaus kritisch befragte und auch einen Opponenten, in casu den Schreibenden, zu Worte kommen liess.

Europabefürworter, vereinigt Euch

Angesichts dieses verheerenden Auftaktes zur entscheidenden Schlacht um die Zukunft, ja die Seele der Schweiz als offenes, fortschrittliches Land in Europa, ist eine rasche Mobilisierung der bislang eher schweigenden Mehrheit zugunsten der Bilateralen III dringend notwendig. Wo bleiben die Wortführer der Wirtschaftspartei FDP, nachdem Economiesuisse und die Arbeitgeber eine Regelung des Verhältnisses zur EU und damit zum weitaus wichtigsten Markt der Schweiz als vordringliches Ziel erklärt haben? Wer aus der vernünftigen Mitte tritt woher an, welche sich als bewahrende Kraft einer vernünftigen Europapolitik sieht? Und, vor allem, warum lässt die SP dem europaphonen Berserker Maillard ohne Widerspruch von höchster Seite freien Lauf? Im Gegensatz zu den ebenfalls stumm bleibenden Grünen, hat sich die grünliberale Partei als einzige vorbehaltlos hinter den Bundesrat gestellt, bravo!

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**Daniel Woker ist ehemaliger Schweizer Botschafter, Co-Gründer der Firma «Share-an-Ambassador/Geopolitik von Experten» und Vizepräsident der «Groupe de Réflexion» der Plattform-Schweiz-Europa.