Lesetipp
Wirtschaft und Politik in der neuen Welt(un)ordnung
von
Christoph Wehrli
| Juni 2018
Rudolf Ramsauer beschreibt die Schwächung der weltwirtschaftlichen Ordnungsbestrebungen, plädiert für einen umfassenden Blick der Schweiz auf die EU und sieht Perspektiven im Zusammenwirken von Unternehmen und Staat.
Er war Handelsdiplomat, von 1998 bis 2007 Direktor des Vororts beziehungsweise von Economiesuisse und schliesslich zehn Jahre lang Leiter der Unternehmenskommunikation von Nestlé. Den für seine Tätigkeit massgebenden Ordnungsrahmen, den «liberalen Internationalismus», sieht Rudolf Ramsauer heute in Auflösung. In einer Publikation vergegenwärtigt er die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte und ihre Bedeutung für die Schweiz, stets mit Bezug auf seine konkreten Erfahrungen und die ihn leitenden Ideen.
In Veränderungen gelernt
Der Titel «Die Schweiz in der internationalen Zusammenarbeit» deckt sich nicht ganz mit dem Inhalt des Büchleins, in dem es vor allem um die Aussenwirtschaftspolitik geht. Dafür befasst sich der Autor auch etwa mit dem Populismus und mit Kommunikation, mit dem Verhältnis von Unternehmen und Gesellschaft sowie mit der Zukunft der grossen Wirtschaftsverbände – vorstellen kann er sich hier eine Verschlankung der permanenten Strukturen «in Richtung von themenspezifischen, zeitlich limitierten oder Ad-hoc-Netzwerken von Personen aus den Unternehmen».
Dass sich Ramsauer selbstkritisch zu Konzeptionen äussert, die er einst selber vertreten hat, die den heutigen Umständen aber nicht mehr gerecht werden können, zeichnet seine letztlich biografisch geprägte Darstellung immer wieder aus. Dabei verliefen die Entwicklungen scheinbar konträr: Während er sich beruflich vom Staat zur Privatwirtschaft bewegte, spürte und akzeptierte der einstige Bewunderer des radikalen Liberalen Vaclav Klaus zunehmend die Rolle der Politik. So schreibt er, dass die Prinzipien der «Ordnungspolitik» allein nicht oder nicht mehr genügten, dass vielmehr praktikable Antworten auf aktuelle Fragen erforderlich seien und sonst ein Dogmatismus drohe.
Als die EU in einer Aufbruchsphase war, war Ramsauer in der Bundesverwaltung bei einer Minderheit, die einen Schweizer Beitritt ablehnte. Jetzt, da die Union in einer schweren Krise steckt, beklagt er, dass die hiesige Europadebatte so eng, rein wirtschaftspolitisch gefasst ist, statt auch die Rolle der EU für die finanzielle Stabilität, für die Migrationsfrage und für die Sicherheitsordnung zu beachten. Der Hinweis auf das Interesse, unser europäisches Umfeld aktiv mitzugestalten, lässt sich durchaus als Argument für eine Mitgliedschaft lesen. Klar hält der Autor jedenfalls fest: «Der bilaterale Weg mit der EU wird irgendwann ein Ende haben.»
Ohne neue Strategie
Nicht nur in der Europapolitik hat sich die Lage verändert. Der multilateralen Handelspolitik als solcher, schreibt Ramsauer, sei der Sauerstoff entzogen worden, indem sich die USA «von der Kommandobrücke, vielleicht sogar vom Dampfer verabschiedet» hätten – wobei die Erosion schon früher, mit der Bildung der G7 und der G20, eingesetzt habe und die USA bereits vor Trump - neben der multilateralen Schiene – auch unilateral gehandelt hätten. An einer «Weltunordnung» könne der Schweiz nicht gelegen sein. Und eine Vielzahl von Freihandelsabkommen sei nur eine Übergangslösung, zumal sie die Verhältnisse kompliziere. Kurz: Die Schweiz hatte eine Strategie; diese ist heute überholt, aber noch nicht ersetzt. Die Aufgabe des Ersatzes überlässt der Autor einer neuen Generation.
Harmonie von Interessen
Dem Trend zu politischer Renationalisierung müssten sich auch globale Unternehmen anpassen, schreibt Ramsauer - entgegen der Annahme, die Politik folge einfach der internationalisierten Wirtschaft. Ein dezentral strukturierter Konzern wie Nestlé sei dafür in guter Position. Für vorbildlich hält der frühere Kommunikationschef indes besonders das Prinzip des «creating shared value», der Wertschöpfung im Interesse sowohl des Unternehmens als auch der Gesellschaft, zum Beispiel einer Bauerngemeinschaft. In Partnerschaften mit dem Staat und allenfalls weiteren Akteuren sieht er einen vielversprechenden Ansatz zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung. - Das Bild scheint etwas gar harmonisch zu sein. Doch das Konzept des Zusammenwirkens verdient nicht pauschale Ablehnung, sondern kritische Begleitung.
Insgesamt bietet die «Schrift», wie sie der Autor mit gepflegter Zurückhaltung nennt, unspektakuläre, aber klare Analysen und ein redliches persönliches Zeugnis.
Rudolf Ramsauer: Die Schweiz in der internationalen Zusammenarbeit. Erfahrungen zwischen Staat und Privatwirtschaft. Stämpfli Verlag, Bern. 199 S., Fr.34.-.
Er war Handelsdiplomat, von 1998 bis 2007 Direktor des Vororts beziehungsweise von Economiesuisse und schliesslich zehn Jahre lang Leiter der Unternehmenskommunikation von Nestlé. Den für seine Tätigkeit massgebenden Ordnungsrahmen, den «liberalen Internationalismus», sieht Rudolf Ramsauer heute in Auflösung. In einer Publikation vergegenwärtigt er die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte und ihre Bedeutung für die Schweiz, stets mit Bezug auf seine konkreten Erfahrungen und die ihn leitenden Ideen.
In Veränderungen gelernt
Der Titel «Die Schweiz in der internationalen Zusammenarbeit» deckt sich nicht ganz mit dem Inhalt des Büchleins, in dem es vor allem um die Aussenwirtschaftspolitik geht. Dafür befasst sich der Autor auch etwa mit dem Populismus und mit Kommunikation, mit dem Verhältnis von Unternehmen und Gesellschaft sowie mit der Zukunft der grossen Wirtschaftsverbände – vorstellen kann er sich hier eine Verschlankung der permanenten Strukturen «in Richtung von themenspezifischen, zeitlich limitierten oder Ad-hoc-Netzwerken von Personen aus den Unternehmen».
Dass sich Ramsauer selbstkritisch zu Konzeptionen äussert, die er einst selber vertreten hat, die den heutigen Umständen aber nicht mehr gerecht werden können, zeichnet seine letztlich biografisch geprägte Darstellung immer wieder aus. Dabei verliefen die Entwicklungen scheinbar konträr: Während er sich beruflich vom Staat zur Privatwirtschaft bewegte, spürte und akzeptierte der einstige Bewunderer des radikalen Liberalen Vaclav Klaus zunehmend die Rolle der Politik. So schreibt er, dass die Prinzipien der «Ordnungspolitik» allein nicht oder nicht mehr genügten, dass vielmehr praktikable Antworten auf aktuelle Fragen erforderlich seien und sonst ein Dogmatismus drohe.
Als die EU in einer Aufbruchsphase war, war Ramsauer in der Bundesverwaltung bei einer Minderheit, die einen Schweizer Beitritt ablehnte. Jetzt, da die Union in einer schweren Krise steckt, beklagt er, dass die hiesige Europadebatte so eng, rein wirtschaftspolitisch gefasst ist, statt auch die Rolle der EU für die finanzielle Stabilität, für die Migrationsfrage und für die Sicherheitsordnung zu beachten. Der Hinweis auf das Interesse, unser europäisches Umfeld aktiv mitzugestalten, lässt sich durchaus als Argument für eine Mitgliedschaft lesen. Klar hält der Autor jedenfalls fest: «Der bilaterale Weg mit der EU wird irgendwann ein Ende haben.»
Ohne neue Strategie
Nicht nur in der Europapolitik hat sich die Lage verändert. Der multilateralen Handelspolitik als solcher, schreibt Ramsauer, sei der Sauerstoff entzogen worden, indem sich die USA «von der Kommandobrücke, vielleicht sogar vom Dampfer verabschiedet» hätten – wobei die Erosion schon früher, mit der Bildung der G7 und der G20, eingesetzt habe und die USA bereits vor Trump - neben der multilateralen Schiene – auch unilateral gehandelt hätten. An einer «Weltunordnung» könne der Schweiz nicht gelegen sein. Und eine Vielzahl von Freihandelsabkommen sei nur eine Übergangslösung, zumal sie die Verhältnisse kompliziere. Kurz: Die Schweiz hatte eine Strategie; diese ist heute überholt, aber noch nicht ersetzt. Die Aufgabe des Ersatzes überlässt der Autor einer neuen Generation.
Harmonie von Interessen
Dem Trend zu politischer Renationalisierung müssten sich auch globale Unternehmen anpassen, schreibt Ramsauer - entgegen der Annahme, die Politik folge einfach der internationalisierten Wirtschaft. Ein dezentral strukturierter Konzern wie Nestlé sei dafür in guter Position. Für vorbildlich hält der frühere Kommunikationschef indes besonders das Prinzip des «creating shared value», der Wertschöpfung im Interesse sowohl des Unternehmens als auch der Gesellschaft, zum Beispiel einer Bauerngemeinschaft. In Partnerschaften mit dem Staat und allenfalls weiteren Akteuren sieht er einen vielversprechenden Ansatz zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung. - Das Bild scheint etwas gar harmonisch zu sein. Doch das Konzept des Zusammenwirkens verdient nicht pauschale Ablehnung, sondern kritische Begleitung.
Insgesamt bietet die «Schrift», wie sie der Autor mit gepflegter Zurückhaltung nennt, unspektakuläre, aber klare Analysen und ein redliches persönliches Zeugnis.
Rudolf Ramsauer: Die Schweiz in der internationalen Zusammenarbeit. Erfahrungen zwischen Staat und Privatwirtschaft. Stämpfli Verlag, Bern. 199 S., Fr.34.-.
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